Tabuthema Torschlusspanik: Warum Frauen über 30 vielfach an der Partnersuche scheitern

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„Es ist wirklich kontraproduktiv. Aber ich habe Angst, dass er merken könnte, dass ich Interesse habe. Deshalb fällt es mir schon schwer Blickkontakt aufzunehmen.“ Das sagt Vanessa N. Die 41-Jährige hat Ausstrahlung, vertraut ihr aber nicht. Vanessa ist seit elf Jahren Single. „Man hinterfragt sich selbst und fragt auch Freunde, wie man wirkt, was ich aussende, was es anderen Leuten vielleicht schwer macht, auf mich zuzugehen.“

Schüchternheit, Enttäuschung, Angst – es gibt unzählige Gründe, warum sich jemand mit einer festen Beziehung schwer tut. Millionen Frauen in Deutschland sind unfreiwillig Single. Sie sehnen sich nach einem Partner an ihrer Seite, jemanden, mit dem sie Urlaubspläne schmieden, die Sonntage verbringen und sich austauschen können. Viele haben wie Vanessa noch dazu das Gefühl, an der Partnerlosigkeit „selbst schuld“ zu sein. Es kommen immer mehr Selbstzweifel auf. Und gerade das weibliche Geschlecht sorgt sich, mit fortschreitendem Alter könnte es immer schwieriger werden, noch „rechtzeitig“ einen passenden Partner zu finden. Denn das Thema Kinderkriegen setzt Frauen zusätzlich unter Druck. Eine Trennung mit Mitte oder Ende 30 kann den kompletten Lebensentwurf über den Haufen werfen: Heiraten, Kinder kriegen, Reisen – wie soll das alles noch klappen?

Was, wenn keiner mehr kommt?

„ich musste mit 35 neu anfangen“, sagt Katja S. Ihr Partner verließ sie vor einem Jahr für eine jüngere Arbeitskollegin, die bereits ein Kind hatte. Eigentlich hatte Katja sich in dieser Rolle gesehen. „Er lebt jetzt das Leben, das ich mit ihm wollte.“ Die 36-jährige Erzieherin arbeitet in einem Kindergarten in Salzgitter – sie liebt Kinder. Ihr fortschreitendes Alter setzt sie unter enormen Druck sagt sie, es gäbe schließlich nur eine gewisse Zeitspanne. „Vielleicht sehe ich das manchmal zu verbissen und verschrecke Männer auch.  Aber man weiß ja nicht, ob das auf natürlichem Weg dann noch klappt. Man hat halt diesen Wunsch.“

Für die Kinderkrankenschwester Julia K. ist ein Leben ohne eigene Kinder ebensowenig vorstellbar. „Meine biologische Uhr tickt mit 31 Jahren schon“, so die Hamburgerin. „Momentan habe ich um mich herum nur Schwangere, alle heiraten, kriegen Kinder. Da hört man die Uhr noch lauter ticken.“ Doch nach einer gescheiterten Ehe vor vier Jahren fällt es ihr schwer, auf Männer zuzugehen. Ihr fehle das Vertrauen, schließlich habe sie mit ihrem Mann den Rest des Lebens verbringen wollen. „Und ein halbes Jahr nach unserer Hochzeit ist er fremdgegangen. Und das war dann das Ende unserer Ehe und auch das Ende meines Glücklichseins“, sagt Julia. Die 31-Jährige kocht gerne, legt Wert auf ihr Äußeres – und setzt auf Online-Dating. Denn wo sonst solle sie, noch dazu mit Schichtdiensten, jemanden kennenlernen? „Man spricht ja nicht einfach jemanden in der Straßenbahn an. Und man weiß ja auch nicht, ob die nicht eine Frau zu Hause haben.“

Julia hat über das Online-Dating bisher 10 Männer getroffen. Bisher war der Richtige nicht dabei. Auch Vanessa hat sich mehrmals über das Internet verabredet – und dem mittlerweile abgeschworen. „Ich hatte ein Date, bei dem ich dachte, es sei ein ‚Surferboy‘. Aber dann kam ein ‚Jutebeutel‘. Der war so weit entfernt von meiner Vorstellung.“

Kontakt-MöglichkeitLebensglück nicht von Partnerschaft abhängig machen

So erfolgreich das Online-Dating für mache verläuft, so enttäuschend ist es für unzählige andere. Nicht selten steigen die Ansprüche mit fortschreitender Zeit immer weiter, sagt Liebeskummer-Expertin und Buchautorin Elena-Katharina Sohn, die eine Beratungsagentur für Betroffene in Berlin betreibt. „Oft wird das Lebensglück sehr stark auf den potenziellen Partner fokussiert nach dem Motto ‚Er muss mich glücklich machen‘. Dabei kommt es eher darauf an, im Leben auch andere Glücksquellen zu haben und nicht zu glauben, nur ein Partner könne und müsse das leisten“, so die 38-Jährige. Frauen, die bei jedem Date im Hinterkopf haben ‚Das muss jetzt der Mann meines Lebens sein‘, strahlen das auch aus – und verschrecken die Männer tatsächlich, sagt sie. „Ein Mann, an den ich so herantrete, der kann sich gar nicht persönlich gemeint fühlen“, sagt die Expertin. „Der merkt ja, dass er eine Funktion erfüllen soll im Leben dieser Frau. Auf ihn wird ja ganz viel projiziert, aber er bekommt nicht das Gefühl: ‚Die Frau interessiert sich für mich als Mensch, als Person, wer ich bin. Sondern sie sieht in mir den potenziellen Vater ihrer Kinder.‘ Und das ist erstmal unattraktiv, das hat nichts mit Romantik, Nähe oder Liebe zu tun, sondern ist einfach eine Funktion, die jemand erfüllen soll.“

Doch auch den umgekehrten Effekt kennt die Liebeskummer-Beraterin. So gäbe es auch Frauen, die abwägen, inwiefern man die eigenen Ansprüche an einen Partner zugunsten des grundsätzlichen Wunsches nach einer Beziehung zurückstellen kann. Heraus kommen zermürbende On-off-Spielchen oder andere absurde Kompromisse – nur, um am Ende nicht alleine zu sein.

Haben es unabhängige Frauen mitten im Leben per se schwerer?

stern TV durfte die drei Frauen Julia, Vanessa und Katja porträtieren – drei von Millionen Frauen, die unfreiwillig Single sind. Unsere drei stehen mit beiden Beinen im Leben, zwischen 30 und 40 vielfach völlig normal, sagt Elena-Katharina Sohn. Vor dem statistischen Hintergrund, dass Beziehungen immer kürzer halten, wir uns häufiger trennen und immer mehr Frauen gut ausgebildet, erfolgreich und wirtschaftlich unabhängig sind, hätten sie es auf dem Partnerschaftsmarkt tatsächlich schwer. Denn: „Während sich Frauen in der Regel jemanden an der Seite wünschen, zu dem sie aufschauen oder auf Augenhöhe begegnen können, tendieren Männer eher zu Partnerinnen, die ihnen intellektuell und finanziell etwas unterlegen sind. Für 30 bis 40-jährige Frauen, die auf der Karriereleiter schon weiter sind, wird die Luft dünner,“ räumt die Expertin ein.

Doch all das sei kein Grund, Torschlusspanik und Ängste überhand nehmen zu lassen. „In dem Moment, wenn ich es als Person schaffe, mit mir selbst glücklich zu sein, verschiedene andere Glücksquellen außer einer Beziehung im Leben zu haben, emotional stabil zu sein – dann klappt es in vielen Fällen plötzlich auch mit einer Partnerschaft.“

stern TV Studiotalk Torschlusspanik

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