Chancenlos seit Generationen: Familie Ritter aus Köthen: Ein Kreislauf aus Verwahrlosung, Kriminalität und Rechtsextremismus

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Aus ihrer rechtsradikalen Gesinnung machten sie nie ein Geheimnis, Gewalt und schwierige Familienverhältnisse wiederholen sich seit Generationen in der Großfamilie: stern TV dokumentiert das Leben der Ritters aus Sachsen-Anhalt seit über 23 Jahren. 1994 berichteten wir erstmals über Mutter Karin Ritter und ihre sechs Kinder. Es waren Bilder von Kindern im Dreck, die die Hand zum Hitlergruß heben und in ärmlichsten Verhältnissen in einer Obdachlosenunterkunft aufwachsen.

Trotz steter Bemühungen von Jugendamt und anderen Behörden hat sich in all den Jahren bei den Ritters wenig geändert. Vor allem die vier Söhne von Karin Ritter sorgten immer wieder für Negativ-Schlagzeilen; die Liste ihrer Straftaten ist lang. Allesamt mussten sie mehrere Haftstrafen verbüßen. Selbst von den 11 Kindern der Ritter-Töchter wurden einige auffällig, viele von ihnen musste das Jugendamt in Heimen unterbringen. Und auch die Wohnsituation der Ritters hat sich nicht geändert. Der Zwangsumzug aus der Angerstraße in die Augustenstraße in Köthen ging in die nächste Schlichtwohnung der Stadt – in die Fortsetzung eines Lebens in Dreck, Gerümpel und Verwahrlosung. 

Keine Wohnung mit dem Namen „Ritter“

stern TV hat Karin Ritter und ihre drei derzeit bei ihr wohnenden Söhne Andy (32), Christopher (31) und Norman (33) erneut besucht und sich von ihrer Lage ein Bild gemacht: In der Obdachlosenunterkunft gibt es weder Duschen noch Heizungen, einige Räume sind von Schimmel befallen, warmes Wasser steht nur einzelnen Bewohnern zur Verfügung. Es gibt nur Waschbecken, an denen sich die Bewohner waschen können. Dazu das immer gleiche Bild von den Ritters: Alkohol, Zigaretten und jede Menge Wut. „Ich fordere eine neue Wohnung!“, so Karin Ritter. Die 63-Jährige wartet seit anderthalb Jahren darauf, dass in dem heruntergekommenen Haus in der Augustenstraße die versprochenen Sanitäranlagen eingebaut werden. Sie erklärt: „Ich bin hier mit hingezogen, weil Norman alkoholkrank ist und Andy ist drogenabhängig. Und jetzt legt mir die Wohnungsgesellschaft Steine in den Weg. Durch den Namen Ritter kriege ich keine Wohnung. Ich habe keine Mietschulden. Warum kriege ich keine Wohnung?“

Karin Ritter war im Grunde ihr ganzes Leben arbeitslos, lebte stets von Sozialhilfe und sie wurde vorbestraft wegen Volksverhetzung. Zur aktuellen Flüchtlingspolitik sagt sie: „Raus mit die Viecher! Die sind hier nicht erwünscht“, so das Familienoberhaupt. „Die kriegen alles in den Arsch gesteckt, die kriegen Wohnungen.“ Und sie soll nur wegen ihres Namens keine bekommen, fragt sich Karin Ritter? Doch das sei nicht ihr einziges Problem. Ihr Sohn Norman ist krank. Der 33-Jährige leidet wie sei älterer Bruder René bereits an Leberzirrhose – eine Folge seines jahrelangen Alkoholkonsums.

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Ein Kreislauf aus Gewalt, Fremdenhass und verpasster Chancen

Das Leben der drei Ritter-Söhne Norman, Christopher und Andy ist eine lange Geschichte voller Gewalt, Fremdenhass und verpasster  Chancen. Als stern TV sie 1994 das erste Mal traf, waren sie bereits mehrfach durch ihre extreme Gewaltbereitschaft aufgefallen. Die Schule hatte die Ritter-Kinder vom Unterricht ausgeschlossen, weil sie ihre Mitschüler mit Schlagstöcken traktierten. Es kam zu einem ersten von zahllosen Polizeieinsätzen wegen der Ritter-Kinder: Damals hatten sie die Tür einer Nachbarin mit einer Axt eingeschlagen, ihre Wohnung mit einem Baseballschläger verwüstet und die Frau verprügelt. Es mache ihnen Spaß, Menschen grundlos zusammenzuschlagen, erzählten die Jungs dem stern TV-Team. Und auch die rechtsradikale Gesinnung ihrer Eltern hatten sie bereits übernommen: Norman Ritter hob mit seinen neun Jahren die Hand zum Hitlergruß – und beteuerte: Wen er groß ist, wolle er Skinhead werden und „einen mit dem Baseballschläger verhauen“.

Norman hatte seine zweite Chance, als er für mehrere Jahre in einem Kinderheimuntergebracht war. Er blühte regelrecht auf und zeigte weniger Aggressionen. Doch Karin Ritter holte sich das Sorgerecht für ihre Kinder zurück. Als stern TV Norman 2007 wiedertraf, war sein Wunsch von 1994 inzwischen Realität geworden: Auf seinem glatt rasierten Schädel prangte die Tätowierung „Skin“. In seinem Zimmer die dazugehörigen Nazi-Devotionalien. Damals 23, war Norman kurz vor seinem nächsten Haftantritt, da er wegen schwerer Körperverletzung zu dreieinhalb Jahren verurteilt worden war. Das erste Mal hatte Norman bereits mit 18 Jahren viereinhalb Jahre im Gefängnis gesessen. 2007 saßen auch die Brüder René und Christopher gerade wieder ein. Andy Ritter, zu der Zeit 22, war der einzige der Brüder, der gerade keine Haftstrafe absitzen musste. „Ich habe alles verpasst: Schule, Arbeit, mein Leben“, räumte er bereits damals ein, war jedoch stark heroinsüchtig. Heute ist er von seinem jahrelangen Drogenkonsum schwer gezeichnet. 

„Wo ist die Gerechtigkeit in Deutschland?“

Christopher, der jüngste der vier Ritter-Brüder, ist heute 31. Er hat die meiste Zeit seines Lebens im Gefängnis verbracht. Zuletzt wurde er vor wenigen Monaten in der Obdachlosenunterkunft in der Augustenstraße verhaftet. Die Polizei ist bei den Ritters auch nach 23 Jahren weiterhin regelmäßig im Einsatz. Nach Angaben der Köthener Polizei gab es allein in den letzten anderthalb Jahren insgesamt 99 Einsätze in der Augustenstraße. In jedem dieser Einsätze waren einer oder mehrere Familienmitglieder der Familie Ritter involviert, schreibt uns die Polizei.

Die Ritter-Brüder sind wie ihre Mutter unzufrieden, fühlen sich von allen im Stich gelassen. Für die Ritters hat sich nie etwas geändert – ob durch gesellschaftliches Versagen oder eigenes Zutun. „Wo ist die Gerechtigkeit in Deutschland?“, fragte Christopher das stern TV-Team letzte Woche.

Die Ritters aus Köthen und das Flüchtlingsheim 19.00

Familie Ritter 12-2012

Familie Ritter 10-2012

Familie Ritter 9-2011

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