Die Frage hatte sich ja durchaus gestellt: Warum zählt Bundestrainer Joachim Löw Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller mit ihren 30 respektive 29 Jahren bereits zum alten Eisen, während der 30-jährige Marco Reus in der Nationalmannschaft weiter zum Kreis der Auserwählten gehört?
Gerade Reus, dem im Gegensatz zu seinen genannten Altersgenossen die Lorbeeren des Weltmeisters fehlen. Eine Antwort darauf findet sich in Mainz, und zwar am 6. Juni 2014.
Dort reißt dem Dortmunder gegen Armenien im letzten WM-Test vor der Abreise nach Brasilien das Syndesmoseband. Reus, vor dem verhängnisvollen Zweikampf in bestechender Form, muss seinen Teamkollegen beim Triumphzug in Südamerika zuschauen.
Reus fehlt DFB-Team über zwei Jahre lang
Auch die EM zwei Jahre später verfolgt er wegen einer Schambeinentzündung nur als Zuschauer. Es folgt ein Kreuzbandriss, Reus ist beim DFB-Team von März 2016 bis Juni 2018 außen vor – und deshalb jetzt dort immer noch gierig auf Erfolg, trotz der 30 Lenze.
„Marco ist ein Spieler, bei dem man den Unterschied sieht, wenn er gesund und spielfreudig ist mit seiner Leichtigkeit“, schwärmte Interimsbundestrainer Marcus Sorg von dem BVB-Kapitän. „Als Trainer macht es immer Spaß, da zuzuschauen.“
Am Dienstagabend umso mehr, als Reus das 8:0-Schützenfest gegen Estland initiierte (10.) und mit seinem zweiten Treffer zum zwischenzeitlichen 5:0 (37.) das erste direkte Freistoßtor der deutschen Nationalmannschaft seit mehr als zwölf Jahren erzielte.
Reus: Freistoß „schönstes Länderspieltor“
Damals war Torsten Frings beim 3:1 gegen die Schweiz erfolgreich gewesen. „Wahrscheinlich war es mein schönstes Länderspieltor“, meinte der beste Mann einer herausragenden Dreier-Angriffsreihe (SPORT1-Note: 1) nach der Partie bei RTL zu seinem Treffer Nummer 13 im erst 41. Einsatz für das DFB-Team.
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Erst gegen Weißrussland hatte er erstmals von Beginn an mit Leroy Sané und Serge Gnabry gemeinsam wirbeln dürfen. Die Gala gegen Estland lässt vermuten, dass dieses Trio den deutschen Fans noch viel Freude bereiten wird.
„Man wird sehen, ob wir uns vorne schon festgespielt haben. Die beiden Gegner Weißrussland und Estland waren jetzt nicht der Gradmesser“, gab sich Reus bescheiden. (Spielplan und Ergebnisse der EM-Qualifikation)
Angriffsleistung nahe am Optimum
Der Auftritt gegen die überforderten Esten sei aber durchaus nah dran gewesen „an dem, was wir uns vorstellen. Es ist schon wichtig, dass die drei vorne flexibel sind, dass wir versuchen, eng zu stehen, dass wir dann den Ball in engsten Räumen schnell kombinieren können, dass einer entgegenkommt und einer in die Tiefe geht. Das trainieren wir jetzt schon eine Weile.“
Nicht von ungefähr steuerte auch Gnabry einen Doppelpack zum zweithöchsten deutschen Sieg in einem EM-Qualifikationsspiel bei, Sané lieferte ein Tor und eine Vorlage.
Reus: „Das ist Vergangenheit
„Wir sind in einem Prozess“, antwortete Reus auf die Frage nach dem Entwicklungsstand der neuen deutschen Auswahl, die seit dem Abstieg aus der Nations League einen deutlichen Aufwärtstrend zeigt. Auch gegen Weißrussland und Estland „musst du erstmal durchkommen, da brauchst du Geduld, ein gutes Passspiel und viel Bewegung“. (Tabellen der EM-Qualifikation)
Reus sieht die Mannschaft auf einem guten Weg. „Aber wir wissen schon, dass wir noch einiges zu lernen haben. Die dicken Spiele wie gegen Holland im September werden noch kommen. Und dann wird man sehen, wie weit die Mannschaft ist.“
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Vorangehen und die Jungen mitziehen hatte sich der sprintstarke Edeltechniker vor dem Länderspieldoppelpack im kicker als seine Aufgaben auf die Fahne geschrieben.
Diese Mission hat er erfüllt, in Mainz besonders eindrucksvoll – trotz des schlechten Omens von 2014.
„Ganz ehrlich? Ich habe nicht eine Sekunde daran gedacht“, beteuerte er. „Das ist Vergangenheit.“