Günther Küblböck fällt es schwer zu verstehen, was mit seinem Sohn Daniel passiert ist. Die beiden hatten über die Jahre eine gute Beziehung. Daniel hatte sogar geplant, wieder nach Passau zu ziehen, in die Nähe seiner Familie. Im Sommer hatten sie noch gemeinsam ein Fest gefeiert. Doch seit dem 9. September gilt der Schauspier und Sänger Daniel Küblböck als vermisst. Was war passiert?
„Für mich ist das staatlich unterlassene Hilfeleistung“
Rückblick: Daniel hatte 2015 ein Schauspielstudium in Berlin aufgenommen. An der Schauspielschule kam er mit Lehrern und Schülern gleichermaßen gut aus. Er ging in seinen Rollen auf. Kurz vor dem Abschluss bekam der die Rolle einer Sängerin. Es fiel auf, dass Daniel Küblböck sich veränderte: Er fehlte häufiger in der Schauspielschule oder kam betrunken. Seinen Lehrern erschien er fahrig, verwirrt und aggressiv. Als seine Rolle aus dem Theaterstück gestrichen wurde, weil er nicht auftreten durfte, fühlte sich der 33-Jährige gedemütigt. „Das war dann ein Punkt, wo bei ihm wie so eine Sicherung durchgebrannt ist“, so sein Vater. Noch dazu gab Daniel sich immer häufiger als Frau aus – selbst bei seiner Familie. „Das war schon so, dass das ein neuer Daniel war“, sagt Günther Küblböck. „Er hat auch immer wieder solche Momente gehabt, in denen er laut geworden ist, rumgeschrien hat oder er hat was zertrümmert. Das war wirklich wie so eine Psychose, die sich dann ganz stark entwickelt hat.“
Nach den Ereignissen in Berlin verbrachte der Sänger den August auf Mallorca – in der Ferienwohnung seiner Adoptivmutter. Auch ihr gegenüber zeigte er sich aggressiv, zerstach ihr die Autoreifen – einmal wurde auch die Polizei gerufen. Wegen dieses Vorfalls wurde er in eine Klinik in Palma gebracht. Die Diagnose eines Neurologen: Wahrscheinlich eine akute Episode einer schizophrenen Psychose.
Doch Daniel Küblböck wollte davon nichts wissen. Er buchte kurzerhand eine Kreuzfahrt mit der „Aida“ nach New York, von der sein Vater zwei Tage zuvor erfuhr. „Da sind natürlich Alarmsirenen bei mir losgegangen.“ Günther Küblböck wollte die Reise verhindern, doch alle Anstrengungen, Daniel von der Schiffsreise abzuhalten, halfen nicht. „Erstmal haben wir mit der Polizei gesprochen, dann mit dem Ordnungsamt, dann mit dem Betreuungsgericht und auch mit dem Gesundheitsamt habe ich damals telefoniert. Und es wurde mir eigentlich immer das gleiche gesagt: ‚Es geht nur, wenn die Person selber mitmacht‘.“ Günther Küblböck erhebt schwere Vorwürfe. Er kann nicht fassen, dass in Deutschland gilt: Eine Zwangsbehandlung, also gegen den Willen des Betroffenen, ist nur bei nachweislicher akuter Selbst- oder Fremdgefährdung möglich. Vorher nicht. „Man fühlt sich nicht nur machtlos, man ist auch machtlos. Das wird einem ja ganz klar gesagt, dass man selber nichts unternehmen kann“, so der Vater. „Für mich ist das staatlich unterlassene Hilfeleistung.“ Sein Sohn Daniel ging an Bord der „Aida“. Wenige Tage später, am 9. September erhielt sein Vater den schrecklichen Anruf: Nach einem Sprung ins Meer gilt Daniel Küblböck als vermisst.
„Viele sind im Nachhinein dankbar für die Zwangsbehandlung“
Der Psychiater Dr. Manfred Lütz leitet ein Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie in Köln und arbeitet seit über 30 Jahren mit Patienten. Aufgrund seiner Erfahrung sehe er die Gesetzeslage in Deutschland kritisch, sagt er: „Wenn jemand akut wahnhaft ist, dann muss man aus meiner Sicht auch handeln, das ist eine Frage der Humanität.“ Dass schizophrene Patienten freiwillig in eine Behandlung einwilligen, passiere eher selten, so Lütz. „Das Problem ist: Wenn jemand nicht krankheitseinsichtig ist, dann lässt er sich auch nicht behandeln. Das ist ja ganz logisch. Und das führt dazu, dass Menschen dann lange Zeit unbehandelt mit ihrer Krankheit leben müssen, bis sie dann wirklich selbst- oder fremdgefährdend werden.“ In derart akuten Wahnmomenten würde er gerne früher eingreifen, notfalls auch gegen den Willen der Patienten. „Die meisten Patienten sind dankbar für die Zwangsbehandlung. Das sagen sie aber nicht in einer akuten Situation, sondern sind erst im Nachhinein sehr dankbar, dass sie dadurch ihr Leben nicht noch ruiniert haben.“
Behandlung nur aufgrund der Gefährdung
Klaus Gauger ist so ein Patient: Der heute 53-Jährige war 20 Jahre paranoid schizophren – die meiste Zeit unbehandelt. Auch seine Eltern litten, denn sie hatten keine Chance, an ihren Sohn heranzukommen. „Wenn so eine Paranoia erstmal losgeht, kann einen niemand mehr erreichen. Das kann man nur mit Medikamenten bremsen“, sagt Gauger jetzt.
Buch SchizophrenieAls junger Mann hatte Klaus Gauger ein ganz normales Leben geführt, er studierte, machte Musik, hatte einen großen Freundeskreis und eine Freundin. Mit Ende Zwanzig setzte dann eine schleichende Veränderung ein. Er fühlte sich auf der Straße immer häufiger beobachtet. „Man hinterfragt es nicht. Man hat ja eine große Wahngewissheit: Man ist sich sicher, dass es so ist“, so Gauger. „Dass man meint, man steht im Zentrum eines Beobachtungsnetzes.“ Auch in seiner Wohnung vermutete Klaus Gauger damals überall Mikrofone. Für ihn eine so reale Vorstellung, dass er im Zelt im Garten schläft – als vermeintlich einzig sicherer Ort. Im Februar 1994 eskalierte die Situation im Beisein seiner Eltern: Klaus Gauger war vollkommen außer sich, hatte Mobiliar und die Wandverkleidung in seinem Zimmer zerlegt. Überall im Haus vermutete er versteckte Mikrofone. Er bedrohte seine Mutter, wurde in seinem Wahn sogar handgreiflich. Die Eltern verständigten den Notdienst. Aufgrund der Fremdgefährdung war dann eine Zwangsbehandlung rechtlich erlaubt. Klaus Gauger bekam Medikamente, sein Wahn ebbte ab. Doch weder er, noch seine Eltern erhielten weitere Informationen über das psychische Problem Gaugers. Die Diagnose erhielten sie erst mit der ersten Rechnung: paranoide Schizophrenie.
FAQ SchizophrenieSchizophrenie ist eine schwere psychische Erkrankung, die in Europa einen von hundert Menschen trifft. Noch ist sie nicht vollständig erforscht, wahrscheinlich gibt es eine erbliche Komponente, vielleicht Stressoren, die die Krankheit auslösen können. Klaus Gauger setzte seine Medikamente irgendwann eigenmächtig ab, die Wahnvorstellungen kamen zurück. Er fing an, Menschen in „Freunde“ und „Feinde“ zu unterteilen – seine Eltern waren feindlich. „Er war so aggressiv, so abwesend“, berichtet seine Mutter. „Ich hatte das Gefühl, es ist gar nicht mehr mein Sohn.
Nach 20 Jahren endlich ein normales Leben
In seiner Heimatstadt Freiburg fühlt sich Klaus Gauger nicht mehr sicher. Aus lauter Verfolgungswahn reiste er ab 2013 quer durch die Welt, immer auf der Flucht, von Europa über Tokio bis nach Amerika. Seine Eltern wussten lediglich durch Geldabhebungen, wo er jeweils war. Zurück in Europa landete er in einer psychiatrischen Klinik in Spanien. Und dort lief es anders: Die „Notwendigkeit zur Behandlung“ reicht aus, um einen Patienten nach Zustimmung eines Richters zu behandeln – notfalls auch gegen seinen Willen. Klaus Gauger kann nun seit vier Jahren mit Medikamenten ein normales Leben führen. Er lebt wieder bei seinen Eltern.
„Psychisch Kranke und ihre Angehörigen werden sich selbst überlassen“
Eine solche Behandlung hätte sich Günther Küblböck für seinen Sohn auch gewünscht. Dann wäre Daniel jetzt noch bei seiner Familie in Passau. Doch der 33-Jährige trat seine Schiffsreise vollkommen von der Rolle an. Am 9. September, um etwa 4 Uhr morgens, habe Daniel Küblböck, der sich auf dem Schiff nur mit „Frau Kaiser“ oder „Lana“ ansprechen, in seiner Kabine randaliert, berichtet das Schiffspersonal später. Er habe sich am Arm geschnitten. An der Rezeption habe man ihn ins Schiffshospital geschickt, wo er niemanden vorgefunden hätte. „Und dann tritt eben genau das ein, wovor man die ganze Zeit Angst hat: Dass eben was Schlimmes passiert“, sagt Günther Küblböck. „Da ist nach wie vor diese Wut, die ich habe, weil dieses Desinteresse an psychisch Kranken so groß ist. Es ist politisch wohl gewollt, dass man psychisch Kranke mehr oder weniger sich selbst überlässt – oder den Angehörigen. Die Angehörigen sollen sich drum kümmern. Und möglichst keinen damit belästigen!“
Haben Sie selbst suizidale Gedanken? Eine erste Anlaufstelle, um einfach mal über die eigene Situation zu reden, ist die Telefonseelsorge. Sie bietet Betroffenen und Angehörigen ein offenes Ohr und ist noch dazu rund um die Uhr anonym und kostenlos erreichbar: 0800 / 1110 111 und 0800 / 1110 222