Das Gejaule, Gebell und Leiden der Tiere mag man sich kaum vorstellen: An die 100 Hunde, darunter auch Welpen, lebten offenbar unbeachtet vom Umfeld oder zuständigen Behörden unter unvorstellbaren Zuständen auf dem Gelände eines völlig überforderten Hundebesitzers in Königsmoos in Bayern. Die Tiere hatten sich wohl unkontrolliert vermehrt und waren sich weitgehend selbst überlassen worden: Ausgehungert, abgemagert, krank, verwahrlost, manche Hündinnen hochträchtig. stern TV war dabei, als zunächst 34 von ihnen durch eine verdeckte Aktion von Tierschützern der Stiftung Vier Pfoten gerettet werden konnten. Die Aktivisten hatten das Gelände des Hundehalters schon länger im Visier. In Zusammenarbeit mit tschechischen Kollegen waren sie auf ein Inserat aufmerksam geworden, durch das der Hundebesitzer fast alle seine Hunde mit einem Mal loswerden wollte. Daraufhin hatten sie einen vermeintlichen Kauf inszeniert.
Protokoll einer riskanten Rettungsaktion
Der Hof in Königsmoos bietet schon von außen einen vernachlässigten Zustand. Es stinkt nach Kot, Hunde bellen Tag und Nacht. Die Nachbarschaft hatte sich mehrfach bei der Stadt beschwert. Doch das Veterinäramt reagiert nicht, der Hofbesitzer lasse sie nicht auf das Grundstück – und müsse das gesetzlich auch nicht.
Birgitt Thiesmann von Vier Pfoten will dem Leiden der Hunde ein Ende bereiten und die erbärmlichen Zustände aufdecken. „Mitten in Deutschland!“, stellt die Tierschützerin fassungslos fest. Thiesmann setzt sich seit Jahren gegen den Hundehandel zwischen Osteuropa und Deutschland ein. Unterstützung bekommt sie in diesem Fall von dem ehemaligen Hundehändler Roman Grzeganek, der sich dem Hofbesitzer Josef H. gegenüber erfolgreich als Kaufinteressent aus Tschechien ausgegeben hatte.
Vergangenen Freitagmorgen treffen sich die beiden mit stern TV auf einem Parkplatz unweit des Hundegeländes. Wir statten Roman Grzeganek mit versteckten Kameras aus, bei einem Transporter werden tschechische Kennzeichen angebracht, damit Josef H. keinen Verdacht schöpft. Roman Grzeganek fährt zu dem Hof in Königsmoos, wo er von dem Hundebesitzer bereits erwartet wird. Nach einem kurzen Gespräch holt der Mann einen Hund nach dem anderen aus dem Haus. Sie sind für den Transport ruhig gestellt. Die meisten wirken schwach und vollkommen verunsichert. Josef H. übergibt dem vermeintlichen Käufer auch die entsprechenden Impfpässe – gerade noch vom Tierarzt ausgestellt, damit die Tiere über die Grenze gebracht werden können. Die Papiere sind gefälscht. „Jetzt sieht man mal, warum auch der illegale Welpenhandel weiter funktioniert“, sagt Birgitt Thiesmanndazu. Die manipulierten Impfpässe seien der Beweis. „Weil die Tierärzte mit drin stecken, ohne die wäre das nicht möglich.“
INFO Hunden helfenInsgesamt werden 24 Hunde verladen. Als Roman Grzeganek den Hof verlässt, geht der Hundebesitzer davon aus, dass gleich der nächste Transporter kommt. Doch dazu wird es nicht kommen. Birgitt Thiesmann verständigt die Polizei, auch die Staatsanwaltschaft wird informiert. Der Transporter mit den Hunden wird beschlagnahmt. Unter anderem aufgrund des Zustands der Hunde und der gefälschten Papieren wird entschieden: Auf dem Hof kann eine Razzia erfolgen. Das gesamte Gelände und das Haus von Josef H. werden durchsucht. Der Mann wird verhört. Vom Tierarzt fehlt zu dem Zeitpunkt jede Spur.
Viele Hunde in kritischen Zustand
Den Tierschützern und Ermittlern bieten sich auf dem Hof erschreckende Bilder: Einige der Hunde können sich nicht einmal mehr aus eigener Kraft bewegen, sie sind krank, verstört, leiden unter Parasiten und Geschwüren. Einige sind aggressiv und bissig. Einzelne von ihnen werden womöglich eingeschläfert werden müssen. Es sind größtenteils Labradore, Golden Retriever und andere Rassehunde, auch Welpen laufen dazwischen herum. Die Ermittler können zunächst noch zehn weitere Hunde mitnehmen. Insgesamt kommen am Freitag 34 Hunde in das Tierheim in Riedensheim. Der Leiter des Tierheims Gerhard Schmidt ist entsetzt: „Die Hunde haben wahnsinnige Panik, die hatten zum Teil Todesangst. Wir müssen sie jetzt erstmal ankommen lassen. Und dann schauen wir, welche Probleme sie genau haben.“
Von den etwa 100 Hunden auf dem Hof wurden inzwischen die meisten aus ihrer Verwahrlosung gerettet und in verschiedene Tierheime in der Umgebung gebracht. Eine hochträchtige Hündin hat acht Welpen geboren. Ein Hund ist verstorben, sieben weitere sind in einem kritischen Zustand.
Veterinäramt sieht sich im Recht, Hundebesitzer sich als Opfer
Wie kann es sein, dass derartige Zustände von Behörden und Veterinäramt ignoriert werden, dass nicht eingegriffen wird? stern TV hat beim örtlichen Veterinäramt Neuburg nachgefragt, die Sprecherin sagt: „Unsere Mitarbeiter bekamen die Hunde nicht alle zu Gesicht, weil Hunde vermutlich im Haus versteckt waren, Hunde hinterm Haus versteckt waren. Das Haus durften wir nicht betreten. Das hat der Halter nicht zugelassen. Das ist rechtlich auch so geregelt, dass man ein Betretungsrecht haben muss – das hatten wir nicht.“
Auch Hundebesitzer Josef H. redet sich heraus, sieht sich gar als Opfer: „Es ist eine Sauerei, was da mit mir gemacht worden ist. Wir haben schon seit Wochen versucht, mein Sohn, meine Tochter und ich, über Tierschutzvereine, große Tierschutzorganisationen in München und Tierheime, die Hunde unterzubringen!“, sagt er zu stern TV. Fest steht: Gegen Josef H. wird nun ermittelt. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. Ein Ermittlungsverfahren gegen den betreffenden Tierarzt wird von der Staatsanwaltschaft geprüft.
Birgitt Thiesmann live bei stern TV: „Was ich auf dem Hof gesehen habe, das habe ich in den ganzen Jahren nicht mal in Osteuropa gesehen“
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