Ins Koma geschlagen: Wie Christoph Rickels ungewollt zum Botschafter gegen Gewalt wurde

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Als Christoph Rickels das Mädchen in der Disco ansprach und ihm ein Getränk spendierte, hatte er nichts Böses im Sinn. Der 20-Jährige wollte bloß flirten. Doch draußen wartete der eifersüchtige Freund der jungen Frau. „Ich träum‘ vor mich hin und aus dem Nichts kommt dieser Typ auf mich zugesprintet, schlägt mir auf den Kopf. Ich bin schutzlos und schlage dann frontal mit dem Kopf auf den Steinboden auf.“ Christoph Rickels wurde unvermittelt einfach niedergeschlagen. Der 20-Jährige erlitt dabei eine sechsfache Hirnblutung und überlebte nur knapp. Als er nach vier Monaten aus dem Koma erwachte, war nichts wie zuvor. „Ich lag mit Pampers im Krankenhausbett wie ein Säugling. Ich musste Essen, Sprechen, Laufen – alles neu lernen.“ Christoph Rickels konnte die einfachsten Dinge nicht mehr, kämpfte sich trotz Lähmung über Monate zurück ins Leben. Heute, elf Jahre nach dem folgenschweren Schlag gegen ihn, ist er weiterhin zu 80 Prozent schwerbehindert.

Neues Leben macht ihn zum „besonderen Menschen“

Früher hat Christoph Rickels am liebsten Musik gemacht, Lieder komponiert, Klavier gespielt. Noch im September 2007 schrieb er einen eigenen Song mit dieser Textzeile: Ein Mensch, wie er einst mal war, ist in dieser Sekunde nicht mehr da. Heute wirkt diese Zeile wie eine böse Vorahnung: Eine Woche nachdem er den Song geschrieben hatte, passierte es. Nur ein einziger Schlag hat sein Leben zerstört.

Und genau darüber spricht Christoph Rickels mittlerweile mit Schülern und jungen Straftätern. Nach Jahren in der Rehaklinik hat er 2010 die Initiative „First Togetherness“ ins Leben gerufen, die mittlerweile auch prominente Unterstützer hat. Mit seinen Vorträgen will der 31-Jährige jetzt an seinem eigenen Beispiel zeigen, welche schlimmen Auswirkungen Aggressionen und Gewalt haben können. Dabei inszeniert er sich jedoch nicht nur als Opfer. Er verschweigt nicht, dass er früher selbst zugeschlagen hat. Er sei ein „cooler Macker“ gewesen, Schulsprecher und ein Aufmischer, der auch anderen „aufs Maul“ gehauen habe, so Rickels. „Ich wollte den Weibern gefallen, dachte das wäre cool“, erzählt er den Schülern. Heute ist genau die gegenteilige Ansicht sein Lebensmittelpunkt. Der von früher wolle er gar nicht mehr sein: „Ich bin froh, dass es diesen Mackertyp, der sich auch geprügelt hat, nicht mehr gibt.“ Er habe jetzt eine neue, ganz andere Persönlichkeit, die er sehr schätze. Das meint auch sein Freund und Wegbegleiter Ernesto Plantera: „Christoph ist ein besonderer Mensch, jemand, der sich trotz seiner körperlichen Defizite aufopfert, um anderen zu helfen. Er verdient den Titel des ‚besonderen Menschen‘.“

„Ich bin überzeugt: Ich kann verändern“

Christoph Rickels und Ernesto Plantera hatten sich während der Reha in der Klinik kennengelenrt. Ihr Kampfgeist hat sie zusammengeschweißt. Mittlerweile sind die beiden Kollegen geworden, denn in Planteras Sicherheitsunternehmen in Kassel soll es künftig eine eigene Abteilung für Gewaltprävention geben, in der „First Togetherness“ weiter ausgebaut wird.

Christoph Rickels hält seine Vorträge in ganz Deutschland in Schulen und Gefängnissen. Was die Jugendlichen besonders anspricht: Der 31-Jährige kommt nicht bloß mit Belehrungen, er als Mensch und seine Geschichte berühren sie. 2015 wurde Rickels vom Bundespräsidenten für dieses Engagement ausgezeichnet. Er hat damit seine Lebensaufgabe gefunden, sagt er, blicke trotz seiner Beeinträchtigung positiv in die Zukunft: „Man hat mir viel genommen, aber ich habe eine Möglichkeit bekommen, auch verändern zu können. Ich bin überzeugt: Ich kann verändern.“
 

stern TV Talk mit Christoph Rickels

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