Nach Vorwürfen gegen Dieter Wedel: „Möge es dazu führen, dass wir mutiger werden und dass so etwas nicht mehr passiert“

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Die Staatsanwaltschaft München ermittelt gegen den Regisseur Dieter Wedel wegen eines angeblichen sexuellen Übergriffs in den 90er Jahren. Ausgangspunkt ist ein Bericht im „Zeit“-Magazin vom 4. Januar 2018, in dem drei Schauspielerinnen Wedel beschuldigten, er habe sie damals sexuell bedrängt. Die Anschuldigungen reichen von Schikane über Gewalt – bis hin zu Vergewaltigung, die Schauspielerin Jany Tempel dem Regisseur vorwirft: „Er hat mich mit Wucht gepackt und gegen die Wand gepresst. Er hat mich angeschrien, ich wisse doch, wer er sei. Wer eine Rolle bei ihm wolle, müsse auch etwas dafür tun“, wird Tempel im Zeitmagazin zitiert. Der Vorfall soll sich 1997 zugetragen haben.

Die Vorwürfe gegen Dieter Wedel sollen die drei Frauen eidesstattlich versichert haben. Annabel Wahba, eine der fünf Journalisten, die das Thema für die „Zeit“ recherchierten, sagt: „Wir haben die Frauen durchleuchtet. Wir haben versucht, alles, was wir irgendwie über sie rausfinden können, über sie herauszufinden. Im Ersten Fall ist es so, dass Jany Tempel ihre Therapeutin von der Schweigepflicht entbunden hat. Und wenn jemand so weit geht, dass er tatsächlich alles offen legt, dann kann man davon ausgehen, dass die Person als glaubwürdig einzuschätzen ist.“

Juristische Aufklärung schwierig bis unmöglich

Der inzwischen 75-jährige Dieter Wedel weist alle Vorwürfe zurück. Auch er hat eine eidesstattliche Erklärung gegenüber der Zeit abgegeben, in der er schreibt: Frau Tempel gegenüber war ich definitiv nie gewalttätig, ich habe sie nicht ‚gepackt‘, ‚an die Wand gepresst‘ und auch nicht ‚mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr‘ gezwungen. Ein solches Verhalten ist mir gänzlich fremd, und ich finde jede Form von sexueller Gewalt abstoßend. Bislang stehen sich die Aussagen gegenüber. Dieter Wedel ist von seiner Position als Intendant bei den Bad Hersfelder Festspielen zurückgetreten und wegen Herzproblemen derzeit in klinischer Behandlung. Am 22.01.2018 erklärte er: In diesem Klima der Vorverurteilung, der sogenannten ‚Verdachtsberichterstattung‘, die auf keine erwiesenen Fakten gestützt sein muss, kann ich den Kampf um meine Reputation nicht gewinnen – weder mit juristischen Mitteln noch mit medialen Stellungnahmen. (…) Deswegen werde ich mich von jetzt an nicht mehr öffentlich äußern.

Dieter Wedel Bad Hersfeld 19.07Tatsächlich wird es eine juristische Aufklärung der zum Teil mehr als 30 Jahre zurückliegenden Vorfälle kaum noch geben, da sie – sollten die Übergriffe tatsächlich stattgefunden haben – inzwischen größtenteils verjährt sind. Damit ist auch Wedel die Möglichkeit genommen, die Vorwürfe juristisch auszuräumen. Mit Ausnahme des Falles Jany Tempel, in dem Ermittlungen aufgenommen wurden. In der aktuellen Ausgabe zitiert die „Zeit“ darüber hinaus die Schauspielerin Esther Gemsch (61), die unter Regie von Dieter Wedel 1980 die Hauptrolle in einer Vorabendserie innehatte. Laut Annabel Wahba habe Gemsch von sexuellen Annäherungsversuchen Wedels berichtet, die sie ablehnte  – woraufhin sie am Set auf brutale Weise gemobbt worden sei. Nach einer Aussprache im Restaurant habe er sie mit in sein Zimmer genommen, um ihr noch eine Kritik zu geben. Was dann passierte, beschreibt Esther Gemsch in der „Zeit“ vom 25.01.2018 so: Er setzte sich rittlings auf mich, packte meinen Kopf bei den Haaren und schlug ihn immer wieder aufs Bett, einmal auch an die Wand und einmal auf die Bettkante.

Annabel Wahna erzählt, Esther Gemsch habe daraufhin Verletzungen am Halswirbel gehabt: „Das Besondere an diesem Vorfall ist, dass er aktenkundig geworden ist. Es gibt beim Saarländischen Rundfunk Akten von der Produktionsfirma, in denen genau diese Dinge, die die Frau schildert, so drinstehen. Auch mit ärztlichem Attest und mit Anwaltsschreiben, die hin und her gingen – die Beweise sind erdrückend.“

Wann verjährt eine sexuelle Straftat?

FAQ Änderungen im SexualstrafrechtFrauen bezogen Mobbing auf abgelehnte sexuelle Avancen

Eine der Betroffenen, die sich im „Zeit“-Magazin zu Wort meldeten, die österreichische Schauspielerin Brigitte Karner (60), sprach bei stern TV über ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Regisseur. Karner hatte 1991 im Film „Der große Bellheim“ unter der Regie von Dieter Wedel mitgespielt – und habe ebenfalls bei den Dreharbeiten von Wedel eine Einladung in sein Hotelzimmer bekommen, sagt sie. Weil sie abgelehnt und ihm gegenüber eine klare Haltung gezeigt habe, so ihre Vermutung, habe der Regisseur sie bei den anschließenden Drehs massiv schikaniert und beleidigt. „Ich habe einen Choleriker erlebt. Einen Menschen, der wirklich gottähnlich glaubt, alles machen zu dürfen“, so Brigitte Karner. „Du spielst die Szene, und spielst sie wieder, und spielst sie wieder. Und dazwischen kommen verbale Beleidigungen, die dir sehr, sehr wehtun. Und nicht unter vier Augen, sondern: Je mehr Statisten da sind, umso besser funktioniert das. Man ist verzweifelt, weil man die Schuld immer bei sich sucht.“

stern TV erlebte Dieter Wedel bei Dreharbeiten 2001 für die ZDF-Produktion „Die Semmelings“ in Spanien und beobachtete auch einen sehr aufbrausenden Regisseur, der die Schauspieler stramm stehen ließ. Wedel selbst gab sich später im stern TV-Studio über diese Szene erstaunt, er sagte: „Wenn ich mich in dieser Szene nicht erkennen würde, dann würde ich sagen: Das bin ich nicht. Dieser unangenehme, meckernde, mosernde Mensch da“, so Wedel zum Moderator. „Ich glaube, das geht uns allen so: Man sieht sich anders. Wahrscheinlich auch ein bisschen besser.“

Annabel Wahba vom „Zeit“-Magazin erklärt dazu: „Wir wissen von Schauspielern, aber auch Regieassistenten, Aufnahmeleitern, dass Dieter Wedel häufig cholerische Ausbrüche am Set hatte, das betraf auch Männer. Es ist aber so, dass die Frauen, die mit uns geredet haben, die am Set gemobbt wurden, eindeutig eine Verbindung gezogen haben zu abgelehnten sexuellen Avancen.“

Studiogespräch zum Fall Dieter Wedel

„Möge es dazu führen, dass wir aufpassen, dass so etwas nicht mehr passiert“

Waren und sind die Strukturen in der Film-Branche, auch in anderen Branchen – oder generell im Beruf – noch immer so machtgesteuert und gestatten Vorgesetzten sexuelle Übergriffe ohne Konsequenzen? Darüber diskutierte Steffen Hallaschka live in der Sendung unter anderem mit der Schauspielerin Brigitte Karner, die sagte:  „Er hat seine Macht brutal missbraucht, und man hat es ihm gestattet.“

Die Vorwürfe gegen Dieter Wedel werden diese Frage kaum beantworten, da sie wohl weder bewiesen noch entkräftet werden können. Der Fall Wedel wirft jedoch auch die Frage auf: Ist die Verjährung von Sexualdelikten richtig? Und was muss sich im Zuge der MeToo-Debatte in Deutschland nun gesellschaftlich ändern? Die österreichische Schauspielerin erhofft sich durch die – wenn auch späte – Öffentlichmachung derartiger Anschuldigungen eine generelle Sensibilität für möglichen Machtmissbrauch gegenüber Frauen und Angestellten: „Herr Wedel ist überhaupt nicht mehr wichtig. Es ist auch egal, ob das verjährt ist oder nicht“, so Kramer im Gespräch bei stern TV. „Jetzt müssen wir über etwas ganz anderes reden: Haben manche Menschen nicht zu viel Macht, missbrauchen sie sie und sollte man da nicht eingreifen? Und warum haben Produzenten oder Leute beim Sender immer wieder geschwiegen?“ In dieser Hinsicht wünscht sich die Schauspielerin eine Aufarbeitung der Geschehnisse – adressiert an Sender und Produktionsfirmen, aber auch an Teams und Kollegen von Betroffenen.

Für Dieter Wedel gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung. Die gesellschaftliche Problematik aber bleibt. Und die Debatte darüber sei ein Schritt in die richtige Richtung. „Möge es dazu führen, dass wir mutiger werden und wir aufpassen, dass so etwas nicht mehr passiert.“

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