Sie sind schwul, verheiratet – und haben gerade ihr viertes Kind bekommen. Axel und Jürgen Haase haben ein ungewöhnliches Familienmodell. Ihre Zwillinge Anna und Alisha (4) schrieben bereits Geschichte: Sie wurden als erste Kinder im deutschen Geburtenregister ohne eine Mutter eingetragen, dafür mit zwei Vätern. Das schwule Paar hatte lange dafür gekämpft. Und auch bei ihrem ersten Kind Jasmin (7) stellten sich Axel und Jürgen Haase einer monatelangen juristischen Auseinandersetzung. Die drei Mädchen wurden von zwei verschiedenen Leihmüttern in Indien und in den USA ausgetragen, wo diese Methode – im Gegensatz zu Deutschland – erlaubt ist.
Bei einer Leihmutterschaft werden einer bereitwilligen Spenderin reife Eizellen entnommen, die mit dem Samen des Vaters befruchtet werden. Die künstlich befruchteten Eizellen – die Embryonen – werden dann einer anderen Frau eingepflanzt, die das Kind bis zur Geburt austrägt. Sie ist die Leihmutter, nicht aber die biologische Mutter.
Jessica Sanchez ist Amerikanerin und die Frau, die Axel und Jürgen Haase ihren Kinderwunsch erfüllt hat; vor vier Jahren war sie bereits die Leihmutter für die Zwillinge Anna und Alisha. Das vierte Kind der Haases wurde in San Diego per Kaiserschnitt geholt, alles ging glatt und somit ist die sechsköpfige Familie jetzt komplett: „Wir sind sehr glücklich“, sagt Jürgen Haase. „Ich habe selbst drei Geschwister – vier sind die perfekte Kinderschar.“ Auch Ehemann Axel Haase findet: „Drei Kinder sind toll, vier sind noch schöner!“
Erstmalig ein Kind mit zwei Vätern im deutschen Geburtenregister
stern TV begleitet die ungewöhnliche Familie seit Jahren mit der Kamera. Mittlerweile sind Axel und Jürgen Haase schon 31 Jahre zusammen, nach 15 Jahren hatten sie ihre Partnerschaft 2001 offiziell beim Standesamt eintragen lassen. Beide hegten schon immer einen Kinderwunsch – sie wollten eine richtige Familie sein. Versuche, ein Kind zu adoptieren, scheiterten für das schwule Paar jedoch. „Erst dann haben wir uns um das Thema Leihmutterschaft gekümmert“, so Jürgen Haase. Und so reisten die beiden 2009 nach Indien, wo ihnen in einer Fertilitätsklinik eine Eizellspenderin und eine Leihmutter vermittelt wurden. Neun Monate später kam Tochter Jasmin zur Welt. Da Leihmutterschaft in Deutschland nicht anerkannt ist, dauerte es jedoch noch 18 Monate, bis Jasmin per Gerichtsbeschluss einen deutschen Pass ausgestellt bekam und Axel Haase mit dem kleinen Mädchen Indien verlassen und nach Hause kommen konnte. Parallel ging es weiterhin darum, dass auch Jürgen das Sorgerecht für Jasmin bekommen sollte – was erst nach mehr als drei Jahren bewilligt wurde. Im Dezember 2014 wurden Axel und Jürgen Haase schließlich beide als Eltern in Jasmins Geburtsurkunde eingetragen: erstmalig in Deutschland. Für die Familie ein großer Erfolg.
Einmal Zwillinge und drei Versuche später
Trotz des langen Rechtsstreits wünschten sich die beiden Väter für ihr Kind Geschwister. Beide sind selbst mit Geschwistern groß geworden und halten das für die Familienkonstellation für das Beste. Nun sollte alles reibungslos laufen. Anstatt für Indien entschieden sie sich für eine Leihmutterschaft in den USA. Dort kommen jährlich etwa 6000 Kinder legal auf diese Weise zur Welt. In San Diego vermittelte eine Agentur den Männern die Eizellspenderin Ashley McNeil und Leihmutter Jessica Sanchez. Und im Oktober 2012 kamen die Zwillinge Alisha und Anna zur Welt.
Neben den Embryonen, aus denen Anna und Alisha entstanden, wurden weitere befruchtete Eizellen der Spenderin Ashley McNeil und Vater Axel Haase in der Klinik in San Diego konserviert. Im Oktober 2015 wurde damit und wieder mit Leihmutter Jessica ein neuer Versuch gestartet, der leider nicht erfolgreich war. Auch der zweite im darauffolgenden Januar scheiterte. Jessica verlor das Kind in der neunten Woche. Dennoch ließ sie sich auf einen dritten Versuch ein – und es ging alles gut. „Wenn sie nach dem zweiten Versuch gesagt hätten ‚Wir lassen es‘, dann wäre es für mich okay gewesen. Aber sie haben sich dazu entschieden, es noch einmal zu probieren. Und es hat mir nicht wehgetan, es nochmal zu probieren. Also habe ich es wieder versucht und wir waren erfolgreich“, erklärte Jessica. Die 31-Jährige ist alleinerziehende Mutter eines 12-jährigen Jungen. Nachdem sie ihren Job verloren hatte, suchte sie nach einer Möglichkeit, Geld zu verdienen und gleichzeitig ihr eigenes Kind betreuen zu können. Ein Zeitungsinserat der Agentur hatte sie auf die Leihmutterschaft gebracht. „Ich mag es, schwanger zu sein. Und ich mag es zuhause zu sein“, so Jessica Sanchez. Doch sie hatte in der Zwischenzeit auch eine Leihmutterschaft übernommen, die für ein heterosexuelles Paar war und mit hohen Auflagen verbunden. „Nach der letzten Schwangerschaft hatte Jessica eigentlich gesagt, sie wollte es nie wieder machen“, weiß Jürgen Haase. Axel Haase betonte, dass er und Jürgen keine weitere Leihmutter in die Familie hatten bringen wollen. Es kam also nur Jessica in Frage. „Dann haben wir ganz vorsichtig angefragt und sie sagte: Für euch mache ich es jederzeit wieder.“
Und das tat sie. Am 8. Mai 2017 kam die kleine Annika zur Welt. Der lange Weg hat sich gelohnt. Axel und Jürgen Haase haben mit ihren vier Töchtern ihr großes Lebensglück gefunden.
Kasten Leihmutterschaft
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Leihmütter sind Teil der großen Familie
Doch was bedeutet es für die Frauen, Eizellspenderin oder Leihmutter zu sein und sich von dem Nachwuchs für immer zu trennen? Axel und Jürgen Haase ist es wichtig, dass ihre Kinder ihre leiblichen Mütter kennen – und waren auch in der Vergangenheit mit ihnen schon nach Kalifornien gereist, um dort Ashley und Jessica zu treffen. „Es ist Sinn und Zweck dieser Reise, mit beiden Frauen eine Verbindung aufzubauen und den Kontakt aufrecht zu erhalten über die Jahre. Zumindest bis die
Mädchen so groß sind, dass sie selbst entscheiden können, ob sie das wollen oder nicht“, sagten sie während des ersten Treffens der Zwillinge mit ihren Müttern 2015.
Ashley McNeil hat Axel und Jürgen Haase mit ihrer Eizellspende das größte Geschenk gemacht. „Ich glaube es ist wichtig für die Kinder, zu wissen, woher sie kommen, weil sie in einer Familie mit gleichgeschlechtlichen Eltern leben. Deshalb werden sie sich irgendwann wundern und fragen, woher sie kommen. Wer ist die Mutter?“, so Ashley McNeil, die neben Anna, Alisha und Annika noch drei weitere Kinder als Spenderin hat. In diesem Jahr hat Ashley ihre drei Kinder in Deutschland besucht. „Sie haben immer zu mir gesagt, dass wir eine Familie sind, dass sie mich als Teil der Familie sehen. Aber wenn dich jemand in sein Haus einlädt, macht es das erst wirklich wahr. Zu sehen, wo sie essen und schlafen, an ihrem Tisch zu sitzen – auf die Art würde dich auch deine Familie behandeln. Jetzt fühlt es sich an, als sei der Kreis geschlossen. Wir sind jetzt wirklich eine gemeinsame Familie.“