Als die kleine Kristina am 2. April 1991 zur Welt kam, ging für ihre Eltern ein Traum in Erfüllung: Sie hatten ihr Wunschkind bekommen. Dass dieses Mädchen gar nicht ihr Kind ist, ja sogar keinerlei genetische Übereinstimmung mit ihren Eltern hat, wurde erst viele Jahre später klar.
stern TV traf die inzwischen 26-Jährige letzte Woche in einem Hotel im österreichischen Bregenz. Sie will die Wahrheit herausfinden. Mehr als zwei Jahrzehnte habe sie in einer Illusion gelebt, sagt Kristina V. Dass sie sich an die Öffentlichkeit wendet, soll keine Schuldzuweisung sein, sondern „mein größtes Ziel ist, meine Eltern zu finden.“
Verschiedene Blutgruppen ließen Zweifel wachsen
Kristinas Leben begann im Juli 1990 im IVF-Zentrum in Bregenz in der Klinik des renommierten Fortpflanzungsmediziners Prof. Herbert Zech. Dort sollte sich der bisher unerfüllte Kinderwunsch von Kristinas Eltern erfüllen: Ihre Mutter wurde nach einer künstlichen Befruchtung schwanger – und knapp neun Monate später erblicke ein kleines Mädchen das Licht der Welt. Das Familienglück wurde perfekt, als Kristina anderthalb Jahre später noch eine kleine Schwester bekam. Auch Marina ist das Ergebnis einer künstlichen Befruchtung an der IVF-Klinik.
Dass Kristina keinerlei Ähnlichkeiten mit ihren Familienmitgliedern hatte, war im Laufe ihres Lebens immer wieder Thema im Freundes- oder Bekanntenkreis: „Die Leute haben immer gefragt: ‚Ihr seid Schwestern?‘ Das war wirklich total unglaubwürdig“, erinnert sich Kristina V. „Wir haben dann immer gesagt: ‚Ja natürlich, wieso nicht?‘ Aber ich habe mich auch nicht getraut, den Gedanken weiterzuverfolgen.“
Doch die Zweifel nahmen im Laufe der Jahre zu. So wurde bei Kristina nach der Geburt die Blutgruppe 0 positiv festgestellt; ihre Mutter jedoch hat die Blutgruppe A/B negativ. Bei Arztterminen, sogar bei Biologie- und Chemielehrern habe sie immer wieder nachgefragt, ob eine solche Blutgruppenkonstellation möglich sei, so die 26-Jährige: „Und alle haben gesagt: Nein, eigentlich ist das ausgeschlossen.“ Das ließ ihr keine Ruhe – bis sie 2010 als 19-Jährige beim IVF-Zentrum in Bregenz anrief. „Ich habe mit dem Sohn des Arztes gesprochen, der damals die Befruchtung vorgenommen hat. Der hat auf meine Frage nach der Blutgruppenkonstellation geantwortet, er müsse das in den Akten nachsehen. Das bei mir ein komisches Gefühl hinterlassen“, erzählt Kristina V. „Als dann der Rückruf kam, hat er mir erklärt, dass es sehr selten, aber durchaus möglich ist.“
Viele Tests, keine Übereinstimmungen – und auch die Schwester muss an ihrer Abstammung zweifeln
Die Ungewissheit nagte weiter an Kristina. Doch erst 2014 entschied sie sich schließlich zu einem DNA-Test, um Gewissheit zu bekommen. Das Ergebnis teilte ihre Schwester ihr unterwegs telefonisch mit – ein Schock für die Studentin: Kristina gehört genetisch nicht zu ihrer Familie. „Das war, als öffnete sich eine Falltür unter mir“, erzählt sie.
Der Test war eindeutig. Sie ist weder mit ihrer Mutter, noch mit ihrer Schwester verwandt. Und immer wieder fragte sich Kristina: Wer sind denn dann ihre genetischen Eltern? Was ist bei ihrer Zeugung damals schief gelaufen? Ganz offenbar muss ihrer Mutter doch eine völlig fremde befruchtete Eizelle eingesetzt worden sein. Kristina entschied sich, ihre wahren Eltern zu suchen. Gemeinsam mit einem Anwalt wandte sie sich erneut an die IVF Klinik in Bregenz. Dort zeigte man sich kooperativ und nannte ihr drei mögliche Paare, die als Eltern infrage kommen könnten. Die entsprechenden DNA-Tests waren jedoch ohne Ergebnis. Deshalb wandte sich Kristina V. 2016 erstmals mit ihrer Suche auch an Zeitungen. Es meldeten sich vier weitere Paare, die sich zu DNA-Tests bereit erklärten. „Die haben mir auch sehr gewünscht, dass ich die Eltern finde. Sie waren auch sehr betroffen und einige haben sogar auf ein positives Ergebnis gehofft“, erzählt Kristina. Aber auch diese Übereinstimmungstests brachten kein positives Ergebnis.
Stattdessen erfuhr Kristinas Familie vor wenigen Wochen einen weiteren Schlag, als sich durch einen neuen DNA-Test herausstellte: Auch Marina stammt nicht von ihrem Vater ab. „Und die Befruchtung, die zu ihrer Geburt geführt hat, ist ja am gleichen Ort durchgeführt worden. Davon gibt es auch Aufzeichnungen und Dokumentationen, die haben wir auch“, sagt Kristina V. „Und jetzt möchte ich als große Schwester auch für sie wissen, was die Wahrheit ist.“
INFO Kristina und die Suche
„Ich kenne niemanden, der mit mir verwandt ist“
stern TV hat die IVF-Klinik in Bregenz mit dem, was Kristinas Familie widerfahren ist, konfrontiert. Dort ist man über den Gang der 26-Jährigen an die Öffentlichkeit verärgert und zweifelt Kristinas Darstellung der Geschehnisse inzwischen offen an, wie der Rechtsanwalt des IVF-Zentrums Bregenz Michael Konzett mitteilte: „Man muss sich doch fragen, ob es statistisch und von der Wahrscheinlichkeit her nachvollziehbar ist, dass zwei Mal in der gleichen Familie in einem engen zeitlichen Kontext ein Fehler passiert. Das hat uns zu denken gegeben.“
Die DNA-Gutachten zweifelt die Klinik nicht an: Das IVF-Zentrum hatte bereits 2014 eingeräumt, dass der Klinik bei der Behandlung von Kristinas Mutter ein Fehler unterlaufen war, wie einem Schreiben zu entnehmen ist: Die IVF Zentren Prof. Zech – Bregenz GmbH (…) bedauert, dass es im Jahr 1990 aufgrund eines Fehlers dazu gekommen ist, dass Frau Miluska V. nicht ihre eigene, sondern eine fremde Eizelle eingesetzt worden ist.
Das IVF-Zentrum bot Kristina nach Bekanntwerden der Eizellen-Verwechslung zunächst 300.000 Euro, später sogar 500.000 Euro an. Doch die junge Frau lehnte ab. Sie habe kein Geld gewollt – sie will ihre Eltern finden, so die 26-Jährige. Deshalb habe sie eigenständig den Weg in die Öffentlichkeit gesucht.
Bisher kann Kristina V. nur sagen: „Ich kenne keinen Menschen in meinem Umfeld oder meiner Familie, mit dem ich verwand bin. Ich kenne ganz und gar keinen, der mit mir verwandt ist.“ Deshalb wird sie die Suche nach ihren genetischen Eltern fortsetzen, sie glaube daran, dass diese Menschen irgendwo seien und zu finden sind. Die Wahrheit herauszufinden, das sei sie auch ihrem Vater schuldig. Er starb 2009 an einem Hirntumor – in dem Glauben daran, dass er zwei Töchter gezeugt hatte. „Für ihn ist es vielleicht auch schön, dass er das nicht erfahren hat. Denn für ihn sind wir immer noch seine ‚Prinzessinnen‘. Er hat uns sehr geliebt.“