Häusliche Gewalt durch den Partner: „Im Normalfall waren es Ohrfeigen“

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Wer Nadja K. kennenlernt, kann kaum glauben, welches Martyrium hinter der selbstbewussten Frau liegt: Die 39-Jährige wurde sechs Jahre lang von ihrem Freund verprügelt: „Im Normalfall waren es Ohrfeigen, was mit einer geschwollenen Nase und Veilchen einherging“, erzählt Nadja K. „Da hat man sich danach die Tränen abgewischt und das Make-Up etwas dicker aufgetragen“. Sie habe lange Zeit verheimlicht, dass ihr Freund sie schlug und nicht den Mut gehabt, sich jemandem anzuvertrauen – auch, weil sie glaubte das Gewaltproblem in den Griff zu bekommen. Doch das Gegenteil trat ein: Die Attacken wurden schlimmer und am Ende kostet sie ein Streit mit dem Freund fast das Leben.

Nadja K. hatte ihren Freund über gemeinsame Bekannte kennengelernt. Sie hätten bei gemeinsamen Spaziergängen mit dem Hund viele Gemeinsamkeiten bemerkt und waren schließlich sehr verliebt, erzählt Nadja K.: „Und er mochte auch Pferde, wie ich. Das erste Jahr war sehr schön.“  Doch nach einer Party schlug ihr Freund das erste Mal zu. „Er ist nachts nach Hause gekommen, hat mich wachgemacht, indem er Milch über mich geschüttet hat und hat mich dann geohrfeigt. In dem Moment, als der Schlag kam, hab ich gedacht: Das ist alles nicht wahr! Ich werde morgen aufwachen und das alles nur geträumt haben.“ Der Schlag war jedoch schmerzhafte Realität – und erst der Anfang. Ihr Freund rastete zwei bis dreimal im Jahr aus und verprügelte sie. Dennoch blieb Nadja K. sechs Jahre bei ihm. Immer habe sie geglaubt, dass sie und ihr Freund – den sie ja auch liebte – das Problem gemeinsam lösen können.

Viele Frauen brauchen mehrere Anläufe

Nadja K. ist nur eine von hunderttausenden Frauen, die regelmäßig Gewalt erfahren. Jedes Jahr sterben mehr als 300 von ihnen durch ihren Partner. Laut Bundeskriminalamt erstatteten im Jahr 2015 104.000 Frauen Anzeige wegen häuslicher Gewalt, doch die Dunkelziffer ist hoch. 

E-Mail-AdresseGönül ertrug den Terror 25 Jahre lang. Sie glaubt, dass auch ihr Mann sie letztlich irgendwann getötet hätte, wenn sie nicht noch geflohen wäre. „Wenn ich nicht mit ihm schlafen wollte, ist er aggressiv geworden“, so die gebürtige Türkin. Er habe ihr gedroht, sie zu töten oder ihr Säure ins Gesicht zu spritzen und dass er sie überall finden werde. Doch es kam der Tag, an dem Gönül mit ihren Kindern ins Frauenhaus floh, wo man sie mit Hilfe und Verständnis aufnahm. Es sei schwer für die Frauen, den Absprung zu finden, sagt Bianca Biwer von der Ofperhilfe „Weißer Ring“: „Die Frauen denken, wenn sie alles richtig machen, dann geht es. Viele brauchen sechs bis sieben Anläufe, um von ihrem gewalttätigen Partner loszukommen.“ Wichtig sei, den Frauen zu signalisieren, dass man ihnen glaubt und sie darin zu bestärken, sich zu Hause nicht unter Druck setzen zu lassen, so Biwer.

Gönül kam als sehr junge Frau aus der Türkei und heiratete hier einen Mann, den sie kaum kannte. Nach der Geburt des ersten Kindes habe der Terror begonnen. „Wir haben uns gestritten und er hat mich geschlagen. Daraufhin wollte ich mit meiner Tochter, die noch ein Baby war, die Wohnung verlassen. Ich habe unsere Sachen gepackt. Dann kam er und hat mit seiner Hand in mein Gesicht geschlagen, richtig fest, so dass meine Nase gebrochen ist.“ Mittlerweile hat Gönül eine eigene Wohnung und möchte bald arbeiten, anderen Menschen helfen. Sie möchte nicht mehr Opfer sein. „Ich habe zu lange gewartet, das war ein Fehler“, sagt sie jetzt.

KASTEN Anlaufstellen häusliche Gewalt gegen Frauen

„Wenn ein Mensch Hand an dich legt, bist du nichts mehr wert“

Auch Astrid versteht bis heute kaum, was ihr passierte. Da sie geschieden war und inzwischen erwachsene Kinder hatte, wünschte sie sich eine neue Liebe – und fand sie über eine Datingplattform im Internet. „Die Liebe war groß und machte blind, gerade wenn man nach Zuneigung ausgehungert ist“, erzählt sie. Astrid zog nach kurzer Zeit von Hagen zu ihrem Freund ins Rheinland, wo sie gemeinsam ein Haus mieteten und renovierten. Astrid bezahlte den Großteil davon. Dennoch beschimpfte ihr neuer Lebensgefährte sie ständig. Als sie im sagte, dass sie sich nicht so behandeln lassen will, rastete der Mann aus. Er habe sie gegen ein Regal geschmissen und in den Flur und nachgetreten. Sie sei vor Angst wie gelähmt gewesen. „Es ist unfassbar, wenn ein Mensch Hand an Dich anlegt. Du bist nichts mehr wert.“
Ihr Freund kontrollierte sie danach auf Schritt und Tritt. Doch Astrid rief ihren Bruder heimlich zur Hilfe, der sofort reagierte und Astrid mit dem Nötigsten aus dem Haus holte. Ihr ehemaliger Lebensgefährte aber gab nicht auf: Er verfolgte Astrid, bombardierte sie mit SMS, er lauerte ihr vor der Arbeit auf und schlug sie erneut nieder. Astrid zeigte ihn an. Das Urteil: ein Jahr – auf Bewährung.

Auch Nadja K. zeigte ihren Ex-Freund nach Jahren der Demütigung endlich an. Der letzte Streit hätte sie fast das Leben gekostet:
Es war der 1. Juli 2014, als ihr Freund wieder einmal auf sie losging. „Er hat mich geschubst und zusammengetreten. Dabei ist meine Milz geplatzt und ich hatte innere Blutungen.“ Nur eine Notoperation rettete Nadja. Sie zog aus dem gemeinsamen Haus aus und lebt seither zurückgezogen nur mit ihren Pferden, Hunden und Katzen. Inzwischen hat sie den Mut, offen mit ihren Verletzungen umzugehen: „Richtig frei geworden bin ich erst, als ich darüber gesprochen habe – und gemerkt habe, dass es vielen anderen Frauen genau so geht.“  Nadja K. hat sich aus der gewalttätigen Beziehung befreit – spät. Aber nicht zu spät. Mit ihrer Geschichte möchte sie andere Frauen warnen und ermutigen, sofort zu gehen und nicht sechs Jahre zu zögern.

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