31 Jahre in US-Knast: Aus Liebe im Gefängnis: Warum Jens Söring trotz neuer Beweise nicht freikommt

0
952

Jens Söring sitzt seit 30 Jahren und 11 Monaten in Haft. Ist er schuldig – oder unschuldig? Diese Frage stellten sich unzählige Menschen im Laufe der Jahre: Richter, Anwälte, Filmemacher, Journalisten, Freunde der Familie. Vieles deutet inzwischen darauf hin, dass Söring damals dumm und naiv – einfach aus Liebe – handelte, als er einen brutalen Doppelmord gestand, den er womöglich gar nicht begangen hatte.

Jens Söring ist hochintelligent. In den 80er Jahren war er als Stipendiat an der Universität von Virginia. Der Sohn eines deutschen Diplomaten war 1990 von einem US-Gericht zu zweimal lebenslänglich verurteilt worden, weil der damals 19-Jährige die Eltern seiner Freundin Elizabeth Haysom getötet haben soll. Elizabeth Haysom war seine erste große – und bis heute einzige – Liebe.

Nach fast 31 Jahren in Haft gibt es nun neue Erkenntnisse im Fall Jens Söring, die ihn entlasten könnten. Moderne DNA-Erkenntnisse könnten belegen, dass Jens Söring nicht der Täter war. Doch der Bewährungsausschuss lehnte den Antrag auf Bewährung erneut ab. Zum nunmehr zwölften Mal in all den Jahren. „Ich bin entsetzt und wütend. Aber auf irgendeine Art auch nicht besonders überrascht“, sagte Jens Söring in einem Telefonat, das stern TV vor zwei Wochen mit ihm führen durfte. „So geht es ja schon seit 31 Jahren. Aber wenn schon entschieden wurde, dass ich schuldig sein muss, weil ich immer schon schuldig gewesen bin – dann hilft anscheinend auch die DNA nicht mehr.“

Filmtipp Das VersprechenDie neuen DNA-Erkenntnisse hatten den Rechtsanwalt Dr. Christian Mensching hoffen lassen, dass Jens Söring daraufhin schnell und unbürokratisch entlassen werden könnte: Blutproben und DNA-Spuren vom Tatort seien neu ausgewertet worden. Diese Blutproben seien (damals nach Blutgruppe) einst Jens Söring zugeordnet worden und hätten als Beweis gegen ihn gedient, so Christian Mensching, der sich seit Jahren in Deutschland als einer von mehreren Anwälten für Sörings Entlassung engagiert. „Diese Blutproben können nun definitiv nicht Jens Söring zugeordnet werden.“

Die beiden unterschiedlichen Blutspuren stammen hingegen von zwei unbekannten Männern, so die neue Erkenntnis. Von Jens Söring gibt es somit keine Spur vom Tatort. Söring reichte deshalb zusammen mit seinen Anwälten beim Gouverneur von Virginia eine Petition für die „völlige Anerkennung seiner Unschuld“ ein. Noch wurde über diesen Antrag nicht entschieden. In diesem Punkt befände sich Jens Söring nun also ganz in der Hand des Gouverneurs, sagt Anwalt Christian Mensching.

„Ich dachte, ich sei ein Held“

Vor drei Jahren gab Jens Söring für den Dokumentarfilm „Das Versprechen“ sein letztes Interview vor einer Kamera. Darin beteuerte er seine Unschuld und schilderte seine Sicht der Geschehnisse: „Ich habe mein Leben zerstört, ich habe die Leben meiner Eltern zerstört. Ich habe so vielen Menschen so viel Unglück gebracht. Weil ich dachte, dass es sich um Liebe drehte. Aber die Liebe gab es nicht.“ Gemeint ist Elizabeth Haysom, der er 1984 – damals 18 Jahre alt – während des Studiums begegnete und sich in die zwei Jahre ältere Schönheit Hals über Kopf verliebte. Die beiden wurden ein paar, verbrachten vier Monate zusammen – dann kam es zur Tragödie: Die Eltern seiner Freundin wurden brutal ermordet. Jens Söring behauptet bis heute, Elizabeth habe ihm die Tat gestanden, er selbst habe keine Beziehung zu den Opfern gehabt.

Ein halbes Jahr nach dem Mord floh das Paar zunächst nach Thailand und schließlich weiter nach London, wo sie wegen Scheckbetrugs verhaftet wurden. Doch ihre wahren Identitäten wurden schnell geklärt.

Jens Söring nahm die Tat auf sich, um seine große Liebe vor dem elektrischen Stuhl zu bewahren. Durch den Diplomatenstatus seines Vaters glaubt er Immunität zu besitzen. „Ich dachte, ich sei ein Held. Ich dachte, ich sei ein ganz toller Kerl“, so Söring im Interview.

„Der ganze Prozess war voller Fehler“

Kurz danach beendete Elizabeth Haysom die Beziehung zu ihm und behauptete, er habe ihre Eltern getötet. Sie sei bereit gegen ihn auszusagen und bekenne sich selbst lediglich zur Anstiftung zum Mord. Haysom wurde daraufhin zu 90 Jahren Haft verurteilt, die sie bis heute absitzt.

Obwohl Jens Söring sein Geständnis sofort widerrufen hatte, wurde er schließlich trotzdem an die USA ausgeliefert und ihm in Virginia der Prozess gemacht.

„Der ganze Prozess war voller Fehler“, sagt der Filmemacher Marcus Vetter, der für den Dokumentarfilm „Das Versprechen“ recherchiert und mit ehemaligen Ermittlern gesprochen hat. Er wertete Indizien und Beweise des Prozesses aus und ist der klaren Meinung: „Die Tat muss jemand begangen haben, der entweder auf Drogen war oder sie wahnsinnig gehasst haben muss. Die Eltern wurden regelrecht abgeschlachtet. Er hat keine Drogen genommen, keinen Alkohol getrunken. Welches Motiv sollte er dafür gehabt haben, die Leute abzuschlachten?“ Als Marcus Vetter dieser Frage nachging, traf er auch auf einen ehemaligen Profiler des Mordes vom FBI. Der Profiler habe ihm berichtet, dass er direkt nach der Tat ein Täterprofil erstellt habe. Dieses Dokument fehlt jedoch in den Ermittlungsakten. Allerdings tauchte im letzten Jahr plötzlich ein Schreiben des damaligen Staatsanwalts auf, das Bezug auf dieses angebliche Täterprofil nimmt und aussagt: Special Agent Edward Sulzbach vom FBI gab an, dass der mutmaßliche Täter eine Frau war, und die Opfer kannte.

Darüber hinaus kam inzwischen ans Licht, dass Elizabeth Haysom in einem Interview sagte, sie sei von ihrer Mutter sexuell missbraucht worden. Ein mögliches Motiv. Zudem belegen Tonbandaufnahmen von Vernehmungen Haysoms, dass die junge Frau die Tat damals mindestens einmal gestanden hatte. Doch ihrer Aussage wurde zu dem Zeitpunkt nicht geglaubt.

Eine weitere Ungereimtheit: Der Richter, der sowohl Elizabeth Haysom als auch Jens Söring verurteilte, war ein Bekannter der Opferfamilie gewesen. „Und so setzt sich die Kette an weiteren Beweisen und Hinweisen, die auf die Unschuld von Jens Söring hinweisen, seit einigen Jahren mit frappierender Regelmäßigkeit fort“, sagt Rechtsanwalt Christian Mensching.

Auch der inzwischen 50-Jährige Jens Söring, nach tausenden Stunden im Gefängnis, glaubt immer noch an ein Leben in Freiheit: „Auch wenn es keine Hoffnung gibt, kämpft man trotzdem. Schließlich kann man nicht besiegt werden – bis man aufgibt.“ Sein weiteres Schicksal liegt nun in der Hand des Gouverneurs von Virginia. Er entscheidet in den kommenden Wochen, ober Jens Söring weiterhin für schuldig – oder nun doch für unschuldig hält.

Read more on Source