Bayerns Trainer Niko Kovac hat ähnlich scharfe Kritik an den Ausbildungsstrukturen im deutschen Fußball geübt wie Mehmet Scholl.
In einer Kolumne für die Frankfurter Allgemeine Zeitung beklagt Kovac das Fehlen großer „Individualisten, die enge Spielsituationen überraschend lösen können“.
Er prangert an, dass Spielern hierzulande der Spaß, „einen Gegner zu veräppeln oder für die Galerie zu spielen“ aberzogen werde.
Ein Zustand, den er an der fehlenden Qualität von Trainers festmacht.
Man müsse erst einmal Trainer finden, die in der Lage seien, Kindern und Jugendlichen entsprechende Übungen vorzuführen.
„Das, glaube ich, liegt jedoch nicht in der DNA der allermeisten deutschen Trainer“, schreibt Kovac. „Ich kann aber nur weitergeben, was ich in mir trage. Ob Liebe oder Geld oder die Leidenschaft für Dribblings und Kunststücke am Ball. Deshalb wäre es gut, dieses Fachwissen zu importieren.“
Kovac unterstützt Scholls Kritik
Ähnliches hatte bereits Mehmet Scholl diagnostiziert: Der Ex-Nationalspieler, Europameister von 1996, hatte mehrfach die „Laptop-Trainer“ und Nachwuchsausbildung angeprangert.
Zuletzt im Dezember 2017: „Die Talente müssten abspielen, dürften nicht mehr dribbeln, könnten stattdessen „18 Systeme rückwärts laufen und furzen“, hatte Scholl damals deutlich formuliert.
Unterdessen berichtet Kovac von einer wegweisenden Entscheidung aus Zeiten, als er noch kroatischer Nationaltrainer war.
Wer will, kann dem Bayern-Coach dadurch einen Anteil am Erfolg der Kroaten bei dieser WM zuschreiben.
Konkret geht es um die Rolle von Ivan Rakitic. Der Barca-Star ist neben Kapitän Luka Modric der zweite große Strippenzieher im Mittelfeld.
Während Modric Regie führt, Angriffe initiiert, spielt Rakitic den Dauerläufer. Stopft Löcher, fängt Pässe des Gegners ab, leistet die Knochenarbeit, die er seit Jahren auch in Barcelona verrichtet.
Mit diesen Eigenschaften wurde er zum Star und hochgeschätzten Mitspieler.
Kovac fand neue Position für Rakitic
Dieses Urteil bestand nicht immer über Rakitic. Felix Magath ließ ihn einst auf Schalke ziehen, weil er den Kroaten als Spielgestalter, als Zehner, für untauglich befand.
Rakitic‘ großes Glück war, dass er auf einen Trainer traf, der seine wahren Fähigkeiten erkannte. Es war Niko Kovac.
Der übernahm 2013 die kroatische Nationalmannschaft und stellte Rakitic auf eine neue Position.
In einer Kolumne für die FAZ schreibt Kovac jetzt über die damalige Zeit: „In der Auswahl der Spieler hatte ich ein paar gute Ideen, die sich noch auswirken. Ich habe Recht behalten (…), dass Rakitic kein Zehner ist, sondern ein Sechser oder Achter.“
Die Entscheidung brachte Kovac damals viel Kritik im eigenen Land ein und war einer der Gründe, weshalb er bereits 2015 wieder abgesetzt wurde als Verbandscoach.
Nur hatte er eben eine Entwicklung in Gang gesetzt, die nicht mehr aufzuhalten war. Rakitic blühte als Abräumer auf, erst in Sevilla, später bei Barca. Und mit seinem Aufstieg wuchs auch die Stärke des Nationalteams.
Kroatien kann die Früchte von Kovac‘ Arbeit ernten
Sein Nach-Nachfolger Zlatko Dalic ist jetzt der Mann, der die Früchte von Kovac‘ Aufbauarbeit ernten kann.
Kovac berichtet in seinem Beitrag von einem Telefonat der beiden nach dem Halbfinal-Coup gegen England. Seine Botschaft an Dalic: „Beende mit dem letzten Spiel der WM in Russland, was ich mit dem Eröffnungsspiel der WM 2014 begonnen habe.“
Der Erfolg der Kroaten kommt für Kovac nicht überraschend: „Wir haben viele Weltklassesportler im Fußball, Handball, Basketball, Wasserball, Tennis, Ski alpin, Tischtennis.“
Den Grund dafür sieht er an der Basis. Anders als in Deutschland, schreibt Kovac, „wird Schulsport in Kroatien noch großgeschrieben. Es sind nicht die modernsten Anlagen, die zur Verfügung stehen, aber überall hängen Basketballkörbe, auf den Schulhöfen sind Fußball-Kleinfelder markiert oder Handballfelder. Und die Möglichkeiten werden genutzt.“
Der Werdegang von Weltstars wird nicht selten schon im Kindesalter bestimmt. Auch wenn Ivan Rakitic ein paar Umwege in Kauf nehmen musste.