Der Wechsel von Leon Goretzka von Schalke 04 zum FC Bayern spaltet Fußball-Deutschland.
Nach der Bekanntgabe seines Abschieds am Saisonende musste sich der Nationalspieler wüste Beschimpfungen und Beleidigungen anhören, sowohl in den sozialen Netzwerken als auch im Stadion beim 1:1 am Sonntag gegen Hannover.
Zudem kritisierte Aufsichtsratsboss Clemens Tönnies öffentlich Goretzkas Entscheidung und drohte dem Nationalspieler in der Rückrunde einen Platz auf der Tribüne an.
Aussagen, die bei zahlreichen Experten für Unverständnis sorgten. „Schalke darf Leon nicht im Regen stehen lassen“, forderte Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff in der Bild.
„So wie ein Verein das Recht hat, mit einem Spieler nach Ablauf des Vertrages nicht zu verlängern, so kann sich auch ein Spieler für eine andere Herausforderung entscheiden.“
Neururer attackiert Tönnies
Und SPORT1-Experte Peter Neururer, der Goretzka 2012 beim VfL Bochum zum Profi-Debüt verhalf, meinte über Tönnies‘ Aussagen: „Er hat damit Leon Goretzka praktisch dem Publikum zum Fraß vorgeworfen.“
Auch wenn er als Vereinsmitglied Verständnis für die Enttäuschung der Fans habe, seien die Pfiffe und Schmährufe „unmöglich“, so Neururer.
Viele Anhänger sehen das aber völlig anders, denn nach ihrer Ansicht hat Goretzka Schalke hintergangen, weil er bereits eine Zusage gemacht und diese dann wegen des Bayern-Angebots zurückgezogen habe.
Daher ist die Empörung und Wut aus ihrer Sicht verständlich und somit auch gerechtfertigt.
SPORT1 erklärt die unterschiedlichen Sichtweisen.
– Das sagen die Schalker:
Tönnies und Sportvorstand Christian Heidel verbreiten spätestens seit der Bekanntgabe des Wechsels am letzten Freitag öffentlich und im Hintergrund ihre Version.
Demnach sei man sich schon im Sommer 2017 mit Goretzka einig gewesen über eine Verlängerung und die Anwälte hätten bereits einen fertigen Vertrag ausgehandelt. Einzig die Unterschrift des Mittefeldspielers habe gefehlt.
„Seine Wünsche wurden zu 100 Prozent erfüllt“, erklärte Heidel. „Es gab ein finales Agreement. Warum er sich danach umentschieden hat, müssen sie ihn selber fragen. Verstehen kann ich das nicht.“
Doch nach der Rückkehr vom erfolgreichen Confed Cup wollte der mittlerweile von mehreren Topklubs umworbene Shootingstar nicht unterschreiben, sondern laut eigener Aussage zunächst die Entwicklung bei den Königsblauen abwarten.
Und ausgerechnet jetzt, wo Domenico Tedesco Schalke auf Platz drei geführt hat, lehnte der 22-Jährige das sehr gut dotierte S04-Angebot ab. Der Beweis für zahlreiche Anhänger, dass Goretzkas Aussage nur vorgeschoben war und seine Entscheidung für Bayern schon lange feststand.
Durch die Hängepartie aber habe er den Verein geschwächt, der im guten Glauben auf einen lukrativen Verkauf vor der Saison verzichtet und sich nun auch nicht nach Alternativen umgesehen habe.
– Das sagt Goretzka:
Der Profi bestätigte zwar den ausgehandelten Vertrag, den er nach einer Entscheidung für Schalke sofort unterschreiben wollte. Seine Zusage, die es ja laut Heidel und Tönnies gegeben haben soll, wollte Goretzka dagegen nicht bestätigen.
„Man könnte fast von einem Missverständnis sprechen“, sagte er dazu. „Mir war in erster Linie wichtig, dass es einen fertigen Vertrag gibt, wenn ich meine Entscheidung getroffen habe – dass man dann nicht noch großartig an den Gehältern feilschen muss oder an sonstwas.“
Sein Berater Jörg Neubauer verweist zudem auf den Fakt, dass eben nur eine Unterschrift juristisch bindend sei, sonst nichts. „Verträge sind dann fixiert, wenn sie unterzeichnet sind. Mehr gibt es nicht zu sagen“, erklärte er SPORT1.
In einem Podcast der Berliner Morgenpost ergänzte der Goretzka-Vertraute: „Die Verantwortlichen von Schalke, insbesondere Manager Christian Heidel, haben überhaupt keinen Fehler gemacht. Leon hat abgewogen, wie er seine Situation sieht und in Zukunft sehen möchte.“
Zudem seien die Schalker bewusst das Risiko eingegangen, den Spieler ablösefrei zu verlieren. „Wenn man gewollt hätte, hätte man ihn auch im Sommer verkaufen können – so wie es mit Leroy Sane oder Julian Draxler gemacht wurde. Das hat man abgelehnt“, so Neubauer.
Und auch den Vorwurf, seine Aussage zur sportlichen Entwicklung auf Schalke sei als Hinhaltetaktik entlarvt, wies Goretzka mit Blick auf die Tabelle zurück.
„Ich möchte jetzt niemals die Euphorie bremsen, die Entwicklung ist gut. Aber wenn man das mal rationalisiert, dann waren wir vor dem Spieltag einen Sieg vor dem neunten Platz.“
Daher will sich der gebürtige Bochumer „zerreißen“, um mit den Schalkern am Saisonende ins internationale Geschäft zurückzukehren – und sich damit einen Platz im WM-Kader sichern.
Echte Liebe dürfte es aber nicht mehr werden, eher ein Zweckbündnis. „Ich bin inzwischen sehr sicher, dass es der richtige Schritt ist“, sagte Goretzka zu seiner Entscheidung für Bayern.