Lisa ist Auszubildende im Friseurhandwerk und bekommt unterm Strich 1,33 Euro pro Stunde ausbezahlt – in einem Vollzeitjob. Damit kommt die 18-Jährige nicht einmal auf ein Sechstel des gesetzlichen Mindestlohns. „Dafür, was ich schon alles mache, ist der Lohn nicht fair“, sagt sie. Denn in ihrem dritten Lehrjahr dürfe sie vom Färben bis zur Hochsteckfrisur eigentlich schon alles machen, verdiene jedoch nur knapp über dem Tarif ihres Bundeslandes. Ihr Monatsgehalt: 230 Euro.
Bundesweite Unterschiede eine Frage der Wirtschaftlichkeit?
In Deutschland unterscheidet sich die tarifliche Vergütung für Friseurazubis zum Teil enorm: Das höchste Gehalt im ersten Lehrjahr von 450 Euro pro Monat bekommen Auszubildende in Hessen. In Ostdeutschland wird weitaus weniger gezahlt: In Sachsen 200 Euro, in Sachsen-Anhalt laut Tarif sogar nur 153 Euro. Doch wie erklären sich die bundesweiten Unterschiede? Und: Warum zahlen so viele Salonbesitzer keine höheren Gehälter – können oder wollen sie nicht? „Wir können nicht dasselbe Gehalt zahlen, das jemand zum Beispiel bei der Bank bekommt“, sagt Thomas Rümpler aus Dresden. Der Inhaber von zwölf Salons in Sachsen entlohnt seine elf Lehrlinge weiterhin nach dem aufgekündigten Tarifvertrag aus dem Jahre 1997. Grund für die geringe Bezahlung sei, dass er als Unternehmer und für die gesamte Firma denken müsse – auch wenn es ihm menschlich leidtue. „Die Lohnkosten sind mit Abstand die höchsten Kosten, dort sind momentan keine großen Sprünge möglich“, so Rümpler.
Friseur-Azubis_10.50Ein Auszubildender kostet in drei Lehrjahren rund 17.000 Euro, sagt Thomas Rümpler. Das Geld könne er kaum wieder einnehmen. Ein Damenhaarschnitt kostet in seinem Salon 52 Euro, bei einem Azubi im ersten Lehrjahr nur 7,50 Euro – um Kunden anzulocken. Damit machen sie allerdings kaum Umsatz für ihren Chef.Hinzu komme die nötige Übung an einem künstlichen Übungskopf, bevor die Lehrlinge einen Kunden bedienen könnten. „Daran verdienen wir keinen einzigen Cent.“
Lehrlinge als unternehmerische Investition in die Zukunft
130 Kilometer weiter in Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt) führt Jens Kögel einen Friseursalon in einem ähnlichen Preissegment. Er zahlt seinen Azubis jedoch freiwillig fast das Doppelte des alten Tarifs: 300 Euro im ersten Lehrjahr. Das veraltete Tarifgehalt sei für ihn „unwürdig“, so Kögel. Die Auszubildenden seien eine unternehmerische Investition in die Zukunft. „Und mit 150 oder 160 Euro bekommt man glaube ich keinen Jugendlichen mehr in den Beruf.“
Im Salon von Jens Kögel darf die 19-jährige Jasmin schon an ihrem zweiten Tag beim Färben assistieren. Shampoonieren, Kopfmassage, Handservice, Ansatzfarbe – sobald sie gezeigt habe, dass sie das könne, werde sie auch das wohl machen dürfen, ist sich Jasmin sicher. Das Ziel von Jens Kögler: Seine Lehrlinge sollen möglichst schnell eigenen Umsatz machen, dafür investiert der Chef pro Azubi zusätzliche 250 Euro monatlich in eine private Berufsschule, wo sie auf die Arbeit vorbereitet werden. „Wenn sich fremde Lehrlinge bei uns beworben haben, fiel auf, dass sie zu wenig können“, so Kögel. „Da sind unsere Lehrlinge schon zwei Schritte weiter und können vieles selber erwirtschaften.“ Kögels 19-jähriger Lehrling Marius etwa kann im zweiten Lehrjahr bereits Kunden eigenständig bedienen. Er sagt: „Für Damenhaarschnitte kann ich schon Geld nehmen, nur nicht den vollen Preis und es dauert eben etwas länger als normal.“ Ende des Monats komme er inklusive Trinkgeld damit auf 600 bis 700 Euro netto.
Müssen Salonbetreiber die Ausbildungswege überdenken?
Sind es also die unterschiedlichen Ausbildungsansätze, die es Salonbetreibern erlauben, mehr – oder eben nur wenig – zu bezahlen? Live in der Sendung diskutierte Steffen Hallaschka darüber mit Thomas Rümpler, dem Salonbesitzer aus Sachsen, und mit Marvin Reschinsky von der Gewerkschaft Verdi. Rümpler räumte ein, dass Jens Kögel, der einen höheren Lohn zahle, ihm wirtschaftlich voraus sei. „Auch seine Azubis sind unseren von der Wirtschaftlichkeit einen Tick voraus“, so der Salonbesitzer. Gewerkschafter Reschinsky kritisierte, dass in Sachsen keinen Tarifvertrag gebe, dieser sei arbeitgeberseitig gekündigt worden. Er sagte: „Aus unserer Sicht sind Auszubildende im Friseurhandwerk schnell wirtschaftlich.“ Selbst Azubis für nur 153 Euro würden doch ausgelernte Kräfte entlasten, die dann mehr Kunden bedienen könnten – selbst wenn sie nur Haare waschen, Farbe auftragen oder sogar nur Putzen. „Dieses Argument lassen wir im Moment nicht gelten“, so Marvin Reschinsky.
Möglicherweise brauchen auch Salonbetreiber eine gute Beratung, wie sie ihre Auszubildenden schnell gut ausbilden – oder richtig einsetzen. Ein Punkt spielt jedoch eine wesentliche Rolle: „Bei einem Damenhaarschnitt halte ich 45 Euro für Waschen, Schneiden, Föhnen für einen fairen Preis“, sagte Friseurmeister Thomas Rümpler. Wie viel sind die Kunden aber bereit zu zahlen? Nach einer stern TV-Umfrage unter mehr als 9000 Zuschauern sind Frauen derzeit bereit, für einen einfachen Haarschnitt durchschnittlich 32,20 Euro zu bezahlen, Männer würden dafür durchschnittlich 22,40 Euro ausgeben. Mehr als 30 Euro für einen Haarschnitt waren 36 Prozent der Frauen und nur 11 Prozent der Männer bereit zu bezahlen. Die Gewerkschaft Verdi möchte durch einen bundeseinheitlichen Tarifvertrag den Druck auf die Kunden erhöhen. „Dann müssen sich die Kunden an neue Preise gewöhnen und der Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten hört damit auf“, glaubt Marvin Reschinsky.
Letztlich geht es wohl in jeder Branche um einen fairen Lohn für echte Arbeit. In diesem Punkt dürften sich alle Arbeitnehmer – egal in welchem Beruf – einig sein. Und wir alle gehen auch zum Friseur.