Kaum ein Mensch kann sich vorstellen, dass man an einem solchen Ort überhaupt klettern kann. Die „Planta de Shiva“ ist eine unfassbar steile und noch dazu stark überhängende Felswand im Klettergebiet Villanueva del Rosario in Andalusien. Die 45 Meter lange Kletterroute gilt als eine der schwierigsten der Welt – selbst für erfahrene Extremkletterer. Bisher konnten erst zwei Männer sie bewältigen. Und eine Frau: die 1,54 Meter große, 31 Jahre alte Tirolerin Angela Eiter. „Ich wollte eine Route finden, die mich wirklich an meine Grenzen bringt“, sagt die Österreicherin, die sich über Jahre im Wettkampfklettern einen Namen gemacht und unter anderem Weltmeister- und Weltcuptitel gewonnen hat. Ihre Erfolgsliste ist lang. Doch irgendwann war ihr das nicht mehr genug. Angela – genannt Angy – Eiter wollte sich ganz bestimmten Projekten intensiv widmen. 2013 verabschiedete sie sich aus dem Wettkampfklettern und suchte neue Herausforderungen. „Ich wollte unbedingt vom Plastikklettern an der Kunstwand hinaus in die weite Welt, verschiedene Felsen und Gebiete kennenlernen. Damit ich auch die Leidenschaft, die ich in mir habe, ausleben kann“, so die 31-Jährige. Es folgten Italien, Griechenland, Südafrika. Und die „Planta de Shiva“ in Andalusien, die bisher größte Herausforderung für die Extremkletterin. „Ich habe vorher nicht gewusst: Geht es, geht es nicht? Und wie oft werde ich scheitern?“
„Man arbeitet nach Instinkten“
Angela Eiter begann schon im Kindesalter mit dem Klettern, mit elf Jahren begann sie die Kletterkarriere zu erklimmen und auch an Turnieren teilzunehmen. ‚Ich will Weltmeisterin werden‘ habe sie damals gleich gewusst. Ihr Vater Franz Eiter trainierte und unterstützte Angela; er kennt jede Bewegung seiner Tochter, hat sie beim Klettern schon hunderte Male gesichert. Am liebsten klettert sie im echten Fels: spektakuläre Abgründe, Wände, wie sie gewachsen sind. Dort erlebe man neben dem Abenteuer des Kletterns auch die Dinge um sich herum viel intensiver. „Man arbeitet weniger nach Plan, sondern mehr nach Instinkten“, erklärt Angy Eiter. Es geht nicht bloß darum, den Gipfel zu erreichen. Die Schwierigkeit liegt darin, den Weg von unten nach oben in nur einem Zug zu schaffen. Ohne Pausen. Ohne Festhalten am Karabiner-Haken oder Seil. Und ohne Abzurutschen!
Die Route „Planta de Shiva“ entdeckten Angela Eiter und ihr Mann Bernhard im Oktober 2015 als mögliche Kletterroute für sie. Seitdem hat die Österreicherin an ihrem Plan gearbeitet, trainiert, einzelne Streckenabschnitte ausprobiert. In Tirol konstruierte sie die 45 Meter lange Strecke an ihrer heimischen Kletterwand nach. Der „Planta de Shiva“ sollte ihr Super-Coup werden!
45 Meter, 35 Minuten, 100 Kletterzüge
Dann endlich sollte es soweit sein: Während Angy Eiter die ersten Meter nimmt, fiebert ihr Mann Bernhard mehr denn je mit ihr. „Ich habe mehr geschwitzt als Angy selber“, sagt er. Nach 35 Minuten und in 100 einzelnen Kletterzügen in und unter der Felswand ist der letzte Meter geschafft: Angela hängt ihren finalen sichernden Karabinerhaken ein – und ist damit am Gipfel ihrer Träume angekommen. Doch der große Gefühlsausbruch bleibt aus. „Ich habe irgendwie keine Energie mehr gehabt zum Schreien. Und ich habe irgendwo auch nicht realisieren können, dass ich es tatsächlich geschafft habe“, so die 31-jährige Extremkletterin. „In dem Moment war das für mich einfach noch nicht real – als wäre das immer noch ein Traum.“
Ihre Freunde unten am Berg hingegen wissen bereits, dass Angy einen Meilenstein im Freiklettern gesetzt hat, sind überwältigt vom Ehrgeiz dieser kleinen Frau. Angela Eiter hat Weltmeistertitel gewonnen und Rekorde gebrochen und sie ist für viele junge Kletter-Fans auf der ganzen Welt ein Vorbild. Was kommt als Nächstes? „Im Moment habe ich mit Rekorden und mit harten und schweren Projekten genug“, sagt sie. „Ich möchte in nächster Zeit eher etwas Abenteuerliches machen. Vielleicht ein neues Land erkunden. Oder eine neue Route, die mich beeindruckt.“
Also doch! Angela Eiter ist noch lange nicht fertig mit dem Klettern. Und wer weiß: Vielleicht legt diese Frau den männlichen Kletterkollegen demnächst mal eine Route vor…