In der Tierwelt sind es meist die Männchen, die ein besonderes Fell, ein auffälliges Attribut oder beispielsweise ein prachtvolles Federkleid tragen und es entsprechend pflegen. Immerhin müssen sie die Weibchen beeindrucken. Anders ist es beim Menschen. Hier galten lange Zeit Frauen als das schönere Geschlecht, das sich gerne stundenlang aufhübscht. Und die Kosmetikindustrie konzentrierte sich über Jahrzehnte nur auf sie, die Männer holen aber auf.
Geben wir es also zu: Jeder von uns will gerne gefallen, sich locker geben, immer das Richtige sagen – eben etwas gelten. Wir möchten lieber Hui als Pfui sein, Peinlichkeiten sind uns ein Graus. Aber was, wenn wir in unserer Eitelkeit mal auf die Probe gestellt werden? Wie wichtig ist es zufällig ausgewählten Testpersonen, in den Kategorien Gutes Aussehen, Intelligenz und Jugendlichkeit gut abzuschneiden? Legen sich die Mitglieder eines Schachclubs bei einem Geschicklichkeitsspiel mehr ins Zeug, als die Besucher in einem angesagten Berliner Club? Und wie eitel sind die verschiedenen Gruppen, wenn es darum geht, sich bei einem Foto-Shooting zu präsentieren? stern TV hat sie einem versteckten Kamera-Test unterzogen: Wann zeigen sie besonderen Ehrgeiz und in welchen Situationen sind sie völlig uneitel?
18 tolle Fotos – und immer noch nicht zufrieden?
Schicke Klamotten, gestylte Frisuren und jede Menge Schminke – es war Freitagabend in einem angesagten Berliner Club, als das stern TV-Team undercover ein Shooting mit einem professionellen Fotografen anbot. Wie eitel die Disco-Besucher sind, sollte sich darin zeigen, wie viele Aufnahmen nötig waren, bis die Fotografierten mit ihrem Bild zufrieden waren. Das Gleiche wiederholten wir am Rande eines Bundesliga-Schachturniers im Berliner Willy Brandt Haus. Unsere Fotografierten diesmal: Schachspieler. Auch sie sollten die Möglichkeit bekommen, das „perfekte Bild“ von sich zu erhalten. Sind sie womöglich weniger eitel als die Partygänger, was ihr Aussehen angeht?
Tatsächlich: Während sich die Disco-Besucher bis zu 18 Mal fotografieren ließen und dabei sehr auf ihr Äußeres bedacht waren, gaben sich die meisten Schachspieler schon mit ein, höchstens zwei Bildern zufrieden. Selbst das Shooting mit der weiblichen Schachspielerin Susan dauerte nur 20 Sekunden.
Jeder Mensch ist in irgendeiner Sache eitel
Doch daraus lassen sich keine voreiligen Schlüsse ziehen, sagt der Ethiker und Philosophie-Professor Dr. Matthias Kaufmann von der Martin Luther-Universität in Halle-Wittenberg: „Eitelkeit ist das Bedürfnis, für etwas geachtet zu werden, von anderen Menschen geschätzt zu werden. Das kann das Äußere sein – muss es aber nicht. Eitelkeit kann sich auch darauf beziehen, dass jemand für seine sportlichen Erfolge geschätzt werden möchte. Vielleicht auch für seinen sozialen Status oder für seine Intelligenz.„
Genau das sollte der zweite stern TV-Versuch mit versteckter Kamera beweisen: Wir ließen beide Personengruppen ein kniffliges Schiebepuzzle lösen, vor der frei erfundenen Hintergrundinformation des Reporters: „Japanische Forscher haben herausgefunden, dass 5-jährige Kinder das Puzzle im Durchschnitt in 2 Minuten und 30 Sekunden schaffen.“
Wer ärgerte sich mehr über die vermeintliche Niederlage gegenüber einem Kleinkind? Matthias Kaufmann sollte Recht behalten, denn in dieser Kategorie zeigten sich die ehrgeizigen Schachspieler deutlich mehr in ihrer Eitelkeit verletzt, wenn sie länger für das Schiebepuzzle benötigten, als ein Kind. Den Disco-Besuchern war eine solche Niederlage relativ egal. Ergo: Wir alle sind eitel für eine Sache, denn wir wollen alle, dass die Eigenschaften, die uns selbst wichtig sind, auch von anderen wahrgenommen und geschätzt werden. Sei es unser Aussehen, unsere Intelligenz oder Talente.
Inkompetent ist, wer meine Stärken nicht erkennt!
In einem weiteren Test gaben wir vor, eine nagelneue Software zur Altersbestimmung testen zu wollen. Die Testpersonen stellten sich dazu vor einen Computer, in dessen Programm von der Testleiterin ein Foto der jeweiligen Person eingespeist wurde. Der Computer sollte daraufhin angeblich das optische Alter der Person bestimmen. Tatsächlich aber gab die Testleiterin völlig willkürlich eine Zahl ein, die dann auf dem Monitor erschien – bei manchen Kandidaten lag diese unter ihrem realen Alter, bei anderen weit darüber. Anschließend sollten die Testpersonen die Qualität unserer Software benoten. Interessant: Von denjenigen, die von der Software jünger geschätzt wurden, wurde sie äußerst positiv bewertet. Wurden die Testpersonen allerdings älter geschätzt, gab es ein negatives Urteil. Die Erklärung für dieses Verhalten kennt Dr. Kaufmann: „Wer meiner Eitelkeit schmeichelt, dem trau ich ein kompetentes, zutreffendes Urteil zu. Wer meine Eitelkeit kränkt, der irrt sich. Dem werde ich entsprechend auch kein Urteil zutrauen, weil er in meinen Augen keine Ahnung hat.“
Eitelkeit ist in unserer Gesellschaft ein Tabu-Thema. Man steht nicht gern zu ihr. Nur wenige sind bereit, sich zu diesem Wesensmerkmal zu bekennen. Dabei sei Eitelkeit auch ein Zeichen dafür, dass einem andere Menschen eben nicht egal sind, sagt Matthias Kaufmann. Und: Ob in der eigenen Eitelkeit gekränkt oder bestätigt, diese Eigenschaft hat noch weitere positive Aspekte: „Eitelkeit spornt uns zu Höchstleistungen an. Sie bringt uns dazu uns zu verbessern, uns zu verfeinern, unsere Fähigkeiten weiter zu entwickeln.“