„Ich glaube, ohne das Methadon wäre ich nicht mehr da.“ Als Sabine Kloske die Diagnose erhielt, schien ihr Leben abrupt zu Ende zu sein. Ihr Hirntumor – ein Glioblastom – war bereits golfball-groß. „Der Arzt sagte: Sie haben noch maximal zwölf bis 15 Monate“, erzählt Sabine Kloske. Jetzt sind fast drei Jahre vergangen und „dafür, dass ich ein Glioblastom habe, das immer wiederkommt und aggressiv wächst – und jetzt ist der Tumor weg! Ich habe ein sauberes MRT-Bild. Für mich ist es ein Wunder!“
Ob Wunder oder medizinisches Zusammenspiel – Sabine Kloske ist voller Hoffnung. Eine Hoffnung, die unzählige Krebspatienten gerne hätten ob der verheißungsvollen Berichte über die Wirkung von Methadon.
Zufallsentdeckung machte Hoffnung
Sabine Kloske hatte nach einer erfolgreichen Operation des Tumors zu ihrer Radiochemotherapie auch Methadon eingenommen. Die Lektorin hatte durch Zufall erfahren, dass das Schmerzmittel Methadon, das man aus der Drogenersatztherapie kennt, neben der normalen Krebstherapie eingesetzt werden kann, um dessen Wirksamkeit zu verbessern. Diesen möglichen Zusammenhang hatte die Ulmer Chemikerin Dr. Claudia Friesen 2007 im Rahmen eines anderen Forschungsprojekts entdeckt. „Es war von unserer Seite ein Zufallsbefund“, so Claudia Friesen. „Wir wollten ursprünglich die molekularen Mechanismen von Opioiden weiter aufklären, darunter war unter anderem auch Methadon. Und zu unserer Verwunderung sind die Tumorzellen mit Methadon gestorben. Wir dachten damals, es wäre ein Fehler.“ Seit knapp 10 Jahren hat die Chemikerin an dem Phänomen intensiv weiter geforscht. Ihre Erkenntnis: Methadon hat auf alle von ihr im Labor und an Tiermodellen untersuchten Krebsarten großen Einfluss, indem es die hartnäckige Abwehr der Krebszellen gegen Bestrahlung und andere Therapien schwächt. Das kann dazu führen, dass Chemotherapie, Bestrahlung und auch die körpereigene Immunabwehr erfolgreicher gegen die Krebszellen ankämpfen und sie zerstören können (s. Kasten.).
So wirkt Methadon
Wirkung durch klinische Studien bisher nicht belegt
Und tatsächlich gab es im Rahmen individueller Heilungsversuche, in denen Methadon zusammen mit einer Chemotherapie eingesetzt wurde, bereits Erfolge. Claudia Friesen hat mittlerweile mehr als 350 Patientendaten in ihrer Kartei gesammelt, die allesamt positive Krankheitsverläufe schwer erkrankter Tumorpatienten zeigen. Die MRT-Bilder der Betroffenen weisen einen deutlichen Rückgang der Metastasen unter der Einnahme von Methadon auf. Die meisten Patienten, die sich bei Dr. Friesen melden, wurden als hoffnungslose Fälle zum Sterben nach Hause geschickt: „Meistens sind es bettlägerige Patienten, die eigentlich gar nichts mehr machen können. Und wenn die auf Methadon umgestellt werden, können sie plötzlich wieder aufstehen, können wieder ihren Haushalt machen, viele können in den Urlaub fahren, also wieder ein normales Leben führen. Für viele ist allein die Lebensqualität es wert, Methadon einzusetzen.“ Bei zahlreichen Patienten ergäben die Befunde mit der Zeit, dass sogar Leber- oder Lungenmetastasen zurückgehen. Das bedeute zwar keine Heilung, doch die Krankheitssymptome könnten nachlassen oder ganz weggehen.
Noch gibt es keine klinischen Studien an Menschen, die einen generellen Effekt von Methadon belegen. Voreilige Schlüsse wären hier fehl. Ob Methadon die Wirkung von Chemotherapien tatsächlich verbessert und die Patienten vergleichsweise länger leben, können nur Studien mit Kontrollgruppen klären, mahnt unter anderem die Deutsche Krebsgesellschaft. Noch sei die Wirkung beim Menschen unklar, auch potenziell unerwünschte Nebenwirkungen müssten näher untersucht werden, da es ein komplexes Opioid ist.
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Methadon bisher nur in der Schmerztherapie
Die mangelnde Förderung solcher Studien prangerte Claudia Friesen bei stern TV an: „Dass es die nicht gibt, liegt daran, dass die Förderungen fehlen“, so die Chemikerin im Gespräch mit Steffen Hallaschka live in der Sendung.
Besteht in der Medizin also kein Interesse an einer verbesserten Krebstherapie? Tatsächlich werden klinische Studien auch von den Fachgesellschaften mittlerweile erwägt.
Methadon wird seit vielen Jahrzehnten in der Schmerztherapie eingesetzt. Langjährige Erfahrung damit hat der Allgemein- und Palliativmediziner Dr. Hans-Jörg Hilscher, er setzt das Mittel seit 15 Jahren ein. Im Hospiz habe er es seinen Patienten vorrangig gegen ihre starken Schmerzen verordnet. „Im Laufe der Zeit hat sich herausgestellt, dass jene Patienten viel besser drauf waren, dass die Leute einfach länger gelebt haben, als in anderen Hospizen.“
Daraufhin begann Dr. Hilscher eine Zusammenarbeit mit Claudia Friesen, wobei die beiden eine Methadon-Rezeptur speziell für Menschen entwickelten, die eine Krebstherapie machen oder gemacht haben. Nach einer Veröffentlichung von Dr. Friesen über die Wirkung bei Glioblastomen, also Hirntumoren, habe Hilscher begonnen, Glioblastom-Patienten mit dem Methadon-Präparat zu behandeln „und es fiel auf, dass die Patienten viel längere Überlebenszeiten aufwiesen“, so der Arzt.
„Ich war quasi ein toter Mann“
So war es bei Thorsten Busch. Der 44-jährige Chirurg leidet an einer seltenen, unheilbaren Krebserkrankung. Nur fünf Prozent der Betroffenen leben nach der Diagnose noch fünf Jahre. Bei Thorsten Busch war der Krebs zum Zeitpunkt der Diagnose schon im ganzen Körper verteilt: Metastasen in Knochen, Leber, Lymphknoten – der gesamte Bauchraum war metastasiert. „Als ich im September mit dem Radiologen das Bild angesehen habe, dachte ich mir: Okay, eine Badehose brauchst du dir also nicht mehr kaufen“, so Thorsten Busch. „Ich war quasi ein toter Mann.“ Das Schwerste sei gewesen, es seiner Frau Miriam beizubringen, er wusste nicht, wie lange Zeit ihm überhaupt noch blieb.
Er begann umgehend mit einer Chemotherapie. Nachdem er das ein Jahr ausgehalten hatte, bekam er den zweiten Chemoblock. Doch danach kam Thorsten Busch nicht mehr auf die Beine: Die Schmerzen im Rücken und Oberbauch wurden unerträglich, kein Medikament wollte anschlagen. „Da wusste ich, jetzt geht es nur noch bergab. Man ist nur noch morgens aufgestanden, hat sich auf die Couch gelegt und gewartet, dass der Tag vorbei geht“, erzählt der 44-Jährige.
Durch Zufall erfuhr auch er von der Forschungsarbeit der Chemikerin aus Ulm, doch sein Onkologe wollte ihm das Methadon nicht verschreiben. Wie bei vielen Ärzten herrsche unter Medizinern Skepsis oder oftmals die Meinung, dass man eine Zusatzausbildung in der Substitutionstherapie braucht, sagt Dr. Hans-Jörg Hilscher. „Es gibt Handelspräparate mit dem Inhaltstoff Methadon, aber die sind nur für die Drogenersatztherapie“, so Hilscher, der Methadon inzwischen in der Krebsbehandlung einsetzt. „Man muss wissen, dass Methadon an sich kein Handelspräparat ist. Man kann es nicht einfach auf ein Rezept schreiben, sondern man muss es in der Apotheke anrühren lassen.“ Der Allgemein- und Palliativmediziner kann sich vor Anfragen von verzweifelten Patienten derzeit kaum retten, für viele ist das vielversprechende Mittel ihre letzte Hoffnung.
Methadon für die Pharmaindustrie nicht profitabel
Methadon ist zugelassen für die Schmerztherapie, ein anderer Einsatz würde eine medizinische Zulassung voraussetzen. Es darf als Schmerzmittel begleitend zur Krebstherapie verschrieben werden. Die Grundsubstanzen für Methadon-Präparate sind vergleichsweise kostengünstig. Womöglich ein weiterer Grund, warum Methadon für die Pharmaindustrie so uninteressant ist, meint Claudia Friesen: „Methadon kostet zwischen acht und 20 Euro für 100 ml, die 4-6 Wochen reichen. Wenn man das mit den sehr teuren Krebs-Medikamenten vergleicht, die 20.000 bis 25.000 Euro kosten, hat Methadon kaum eine Chance.“
Thorsten Busch bekam das Mittel schließlich von einer befreundeten Ärztin verschrieben – für lediglich fünf Euro Rezeptgebühr im Monat. „Ich war zwei Tage später komplett beschwerdefrei! Die Schmerzen, die man die letzten Monate kontinuierlich hatte und die immer schlimmer wurden, waren plötzlich weg. Dass es schlagartig so gut wird, war nicht zu begreifen.“ Thorsten Busch nimmt seit knapp einem Jahr zweimal täglich 15 Milligramm Methadon ein. Er und seine Frau Miriam wissen, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Doch die Zeit, die sie noch gemeinsam haben, kann er schmerzfrei verbringen. Allein durch das Methadon habe er ein hohes Maß an Lebensqualität zurückgewonnen. Sabine Kloske ist jetzt 38 Jahre alt und bis heute tumorfrei – für sie grenzt das an ein Wunder.
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