Seit Tagen halten vor den türkischen Generalkonsulaten in Deutschland Busse an. Zahntausende der 1,4 türkischen Wahlberechtigten reisen so an, um ihre Stimme für oder gegen das Verfassungsreferendum in der Türkei abzustimmen. Die Meinungen dazu sind geteilt. stern TV traf eine Gruppe vor dem Konsulat in Stuttgart. Die einhellige Meinung unter ihnen: Nein zur Verfassungsänderung. Sie täten das, gerade weil sie sich mit ihrem Heimatland verpflichtet fühlen, sagen beispielsweise Emin und Süheyla Güray, die sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzen. Die Deutschtürken gehören zur 1. Zuwanderergeneration. Sie kamen Anfang der 70er-Jahre nach Deutschland. Die Gürays schätzen die Demokratie und Meinungsfreiheit hier – und wünschen sich das auch für die Türkei: „Wenn Journalisten eingesperrt werden, wenn Professoren an den Universitäten einfach abgesetzt und entlassen werden, wenn man seine Meinung nicht frei sagen kann, dann denke ich mal: Man kann nicht von einer Demokratie in der Türkei sprechen“, so der Architekt Emin Güray.Wie ticken Deutschlands Türken?_14.45Türkei-Streit 19.40Cavit Seker aus Düren ist für seine Abstimmung nach Hürth bei Köln gekommen. Der 48-jährige Logisitker hat genau die gegenteilige Meinung und sagt „Ja“ zur neuen Verfassung: „Für die türkische Kultur ist es besser, wenn wir ein Präsidialsystem haben und nicht dieses parlamentarische System wie in Deutschland – weil wir ganz anders denken und anders handeln“, so Cavit Seker. Er kam als Kleinkind mit seinen Eltern nach Deutschland und besitzt weiterhin nur den türkischen Pass. Die ganze Familie Seker – Vater, Mutter und Tochter – hat geschlossen mit „Ja“ gestimmt. Die Familie lebt seit drei Jahren in ihrem Eigenheim in Düren, habe wegen ihrer Herkunft jedoch lange für ein Grundstück kämpfen müssen, erzählt Cavit Seker: „Nachdem wir alle Bewerbungen eingereicht hatten, hat man uns wortwörtlich gesagt hat: ‚Herr Seker, wir würden Ihnen das Grundstück gerne geben, aber die Menschen, die dort bauen, möchten keinen Ausländer haben‘.“ Aus seiner Sicht hätte ihm da auch der deutsche Pass nicht geholfen, „weil ich trotzdem der Türke bin“, so der 48-Jährige. „Man kann nicht jemandem einen deutschen Pass geben und sagen: Du bist jetzt Deutscher. Und alle Türen öffnen sich. So ist es eben nicht.“
Generationenunterschied in den Einstellungen erkennbar
Der Soziologe Prof. Detlef Pollack von der Universität Münster weiß, dass offenbar viele Türken der älteren Generation so denken und empfinden – das zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter 1200 Zuwanderern aus der Türkei und ihren Nachkommen. „Die meisten der Türkeistämmigen sind zufrieden, ihnen geht es ökonomisch relativ gut. Sie wissen genau, dass es ihnen in Deutschland besser geht, als es ihnen in der Türkei gehen würde. Sie genießen auch die Freiheiten, die demokratischen Rechte. Aber sie sind unzufrieden damit, dass sie nicht so anerkannt werden“, sagt Pollack.
Ergebnisse Umfrage 15.03.2017 Türkei-Beziehungen
Ergebnisse der Befragung
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In der Umfrage stimmten immerhin 64 Prozent der 1. Generation der Aussage Ich bin ein Bürger zweiter Klasse zu; die Jüngeren empfinden nur noch zu 38 Prozent eine Benachteiligung. „Es gibt eine Spannung zwischen der Herkunftsprägung, die man nicht so ohne weiteres ablegen kann, und der Tatsache, dass man sich integrieren will“, erklärt Prof. Detlef Pollack. „Ich glaube, dass es Türkeistämmige in Deutschland besonders schwer haben – vor allem deswegen, weil sie dem christlich-abendländischen Kulturkreis nicht angehören. Das ist ganz klar, alle wissen das, dass das mehrheitlich Muslime sind. Und diese Tatsache trägt dazu bei, dass sie sich nicht so stark integriert fühlen wie andere, die da eine geringere kulturelle Differenz aufweisen.“
Türkei (4) Doppelpassumfrage_2Die Gebote meiner Religion sind für mich wichtiger, als die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland.
Dieser Aussage stimmten 57 Prozent der 1. Generation zu, aber nur 36 Prozent der 2. und 3. Generation von Türkeistämmigen.
Die 30-jährige Demet Kilic ist eine Deutschtürkin der 3. Generation. Sie kam in Berlin zur Welt, wo sie mit ihren Eltern und ihrer Schwester aufwuchs. Die beiden wurden „türkisch modern“ erzogen, wie sie sagt. Ihr sei von klein auf beigebracht worden, für ihre Meinung einzustehen. Ihre Eltern und Freunde seien froh, derzeit in Deutschland zu leben. Sie fühlen sich wohl hier. Demet findet allerdings, dass man aktiv dazu beitragen müsse, damit Integration gelingt. „Jeder, der die Entscheidung trifft in Deutschland zu leben, der sollte sich wirklich in Deutschland integrieren.“
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Umso verwunderlicher ist es, dass der Aussage:
Muslime in Deutschland sollten sich an die Kultur anpassen
zwar 72 Prozent der 1. Generation der Türkeistämmigen zustimmten, aber nur 52 Prozent der 2. und 3. Generation.