Familie Ritter aus Köthen: Angst vor den eigenen Söhnen: Warum sich Karin Ritter jetzt mit einem Hilferuf an stern TV wandte

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Rechtes Gedankengut, Verwahrlosung, Gewalt, Drogen – all das scheint sich seit Generationen bei den Ritters zu wiederholen, ebenso wie die Haftstrafen, die die Söhne von Familienoberhaupt Karin Ritter bereits mehrfach verbüßen mussten.

Als stern TV René (12), Norman (9), Andy (8) und Christopher (7) 1994 das erste Mal traf, hatten die Grundschüler gerade die Wohnung einer Nachbarin verwüstet und die Frau mit einem Baseballschläger malträtiert. Ihren unreflektierten Hass auf Ausländer und Nazi-Parolen posaunten die Kinder schon damals groß heraus. 

stern TV hat die Entwicklung der Familie seitdem in zahlreichen Reportagen dokumentiert. Die Probleme und ungeordneten Verhältnisse haben sich bis in die nächste Generation fortgesetzt. Insgesamt hat sich wenig für die Ritters geändert. Vor allem Karin Ritter beklagt sich, dass ihre Söhne so unkontrollierbar und aggressiv geworden sind. „Man schämt sich dafür“, sagt sie. „Aber wenn die Jungs Scheiße machen und Schwarzfahren und klauen und rauben und was weiß ich nicht alles – dafür kann ich nichts. Die sind alt genug und die sind für ihr Leben selber verantwortlich.“

Schwere Vorwürfe gegen die eigenen Söhne

Vor wenigen Tagen hat sich die 64-Jährige mit einem Hilferuf an stern TV gewandt: Sie und ihre 18-jährige Enkelin Jasmin, die derzeit bei ihr in der Obdachlosenunterkunft in der Augustenstraße lebt, würden von ihren Söhnen Norman und Christopher massiv bedroht. Auch gehe es mit dem Einbau der lange geforderten sanitären Einrichtungen nicht voran, weil die gewaltbereiten Brüder auch die Bauarbeiter bedroht haben sollen. „Das geht schon sechs Wochen so“, klagt Karin Ritter. Immer wieder würde vor allem Norman über die Stränge schlagen, meist „besoffen“ und sehr aggressiv: „Silvester hatte der dem Bernd Ritter, was mein Geschiedener ist, ’ne Schnapsflasche über’n Schädel gezogen.“ Die Ritter-Söhne hätten zudem Jasmins Handy zerstört und die Fensterscheibe mit einer Bierflasche eingeschlagen; die Beiden würden sie und ihre Enkelin auch regelmäßig schlagen, sagt Karin Ritter. „Wir dürfen nicht auf die Toilette, wir dürfen nicht runter, wir dürfen keinen Müll entsorgen. Die schmeißen hier die Bierflaschen rein. Hier haben sie die Fensterscheibe kaputt geschmissen.“ Karin Ritter sagt, ihr selbst habe Norman gedroht, „dass er mich aus’m Fenster schmeißen will.“ Daraufhin habe sie bei der Staatsanwaltschaft angerufen. Norman müsse ohnehin wieder ins Gefängnis, so die Mutter der Ritters. „Ich weiß nicht, was er da gemacht hat. Er muss über 400 Euro Geldstrafe bezahlen, dann kommt ’ne gefährliche Körperverletzung dazu. Und dann haben wir beide Anzeige gegen ihn gemacht: Bedrohung, Sachbeschädigung, Morddrohung.“ Laut Köthener Polizei hat es in der Augustenstraße allein seit April 31 Einsätze gegeben. Fast jeden Tag.

Ein Blick zurück: Wie konnte es so weit kommen?

Als stern TV die Ritters vor gut 24 Jahren erstmals traf, hatte Karin Ritter sechs Kinder von drei verschiedenen Männern. Die Söhne zeigten schon deutliche rechtsextreme Tendenzen, waren gewalttätig. Die Nachbarin, dessen Wohnung sie zerstört hatten, sagte damals: „Das liegt am Elternhaus. Die Mutter müsste mit bestraft werden, die Mutter müssten sie ranziehen! Die Mutter hat nur mit den Skinheads zu tun.“

Karin Ritter war zu der Zeit immer wieder mit extremistischen Parolen auffällig geworden und bereits wegen Volksverhetzung vorbestraft. Sie war im Grunde ihr ganzes Leben arbeitslos, lebte stets von Sozialhilfe. Schon 1994 wohnten die Ritters in einer Obdachlosenunterkunft in Köthen. Neonazis gingen bei ihnen ein und aus. Die Kinder schauten sich das Gebärden und die Parolen einfach ab, vermutete auch die Lehrerin seinerzeit im Interview: „Weil sie sehr viel Unschönes, wenig Liebevolles zu Hause sehen. Was wir in der Schule vermitteln wollen, reicht nicht aus, um das zu bereinigen, was am Nachmittag und am Abend vorgelebt wird.“

Das wurde aus den Söhnen der Familie Ritter

Wer ist Karin Ritter?

Kurz nach dem ersten stern TV-Bericht, kamen die Ritter-Brüder für mehrere Jahre in verschiedene Kinderheime. Und dennoch: In der Zwischenzeit mussten sie allesamt mehrere Haftstrafen antreten. „Ich hasse meine Jungs. Ich verfluche sie. Alle zwei da unten“, sagt Karin Ritter heute über ihre Söhne Norman und Christopher. Sie selbst habe aus ihrer Sicht eigentlich eine gute Kindheit gehabt. „Meine Kindheit die war so. Wir sind freitags abgehauen und sind montags früh erst wiedergekommen. Und weil wir Party machen waren, kam die Mutter morgens rein mit ’nem Topf Wasser rein und hat das ins Gesicht gekippt. Und gesagt: ‚Wer Party machen kann, der kann auch arbeiten gehen‘,“ erinnert sich die 64-Jährige. Ihr Vater sei Lebensmittellieferant in Köthen gewesen; die Mutter hätte sich um sie und ihre fünf Geschwister gekümmert. Ihre Schwester lebe heute noch in Köthen, sagt Karin Ritter. Ihre Brüder seien mittlerweile alle verstorben.

Welche Perspektive hatte Karin Ritter in ihrer Jugend? „Wir waren zu Hause sechs Kinder. Der Kleine war gehbehindert. Meine Mutter ist arbeiten gegangen und ich hab auf den kleinen Junge aufgepasst, hab zu Hause sauber gemacht.“ Danach habe sie als Raumpflegerin, in der Konditorei und in der Molkerei gejobbt. „Ich hab dann gar keinen Beruf gelernt.“

Familie Ritter 10-2012Zerbricht die Ritter-Familie jetzt endgültig?

Karin Ritter war in ihrer eigenen Familie stets das Familienoberhaupt. Von ihren drei Ehemännern ist der zweite tot, der dritte, inzwischen geschiedene, lebt krank und verwahrlost ebenfalls in einer der Obdachlosenwohnungen in der Augustenstraße. Seit ihrem 18 Geburtstag lebt auch Enkelin Jasmin bei Karin Ritter, „weil sie mich nie geschlagen hat“, erklärt das Mädchen. Die Mutter Karina Ritter, eine der beiden Töchter von Karin Ritter, war mit ihren sieben Kindern so überfordert, dass das Jugendamt Jasmin und ihre Geschwister 2009 endgültig von ihrer Mutter trennte und in einem Heim unterbrachte. Heute sagt Jasmin: „Man ist zwar in der falschen Familie geboren, aber man muss damit umgehen können.“ Die acht Jahre im Heim hätten sie vernünftiger gemacht, meint die 18-Jährige. „Ich bin nicht so wie die.“

Die Familie Ritter scheint jetzt endgültig auseinander zu brechen. Christopher, Norman und Andy sagen uns, dass sie so schnell möglich aus der Obdachlosenunterkunft ausziehen wollen – weg von ihrer Mutter. Und auch Karin Ritter wünsche sich nichts mehr, als in Frieden woanders zu leben. Ohne ihre gewalttätigen Söhne Norman und Christopher: „Aber wir sind auf Suche. Wir wollen hier weg. Die Jasmin hat mir was von der Zeitung gegeben und hat vier Wohnungen angekreuzt.“ Doch sie hätte einfach keine Chance auf eine andere Wohnung, behauptet sie. Schuld daran seien die Ausländer: „Die brauchen bloß die Schnauze aufzumachen, die kriegen ’ne Wohnung hier. Die kriegen schöne Wohnungen. Und was kriegen wir? Wir sind Ritters – wir kriegen keine!“

Familie Ritter aus Köthen (Update) 8.50

Familie Ritter 9-2011

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