Das grosse Interview mit Erik Brynjolfsson über die Digitalisierung: «Das Beste, was der Menschheit je passiert ist»

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US-Ökonom Erik Brynjolfsson erklärt, wie sich die Welt entwickeln muss, damit der technologische Fortschritt allen zugutekommt.

Noch 2004 schrieben Arbeitskollegen von Erik Brynjolfsson an der US-Elite-Uni MIT ein Buch darüber, warum der Chauffeur einer der letzten Berufe sei, der von Maschinen übernommen werden würde. Nur sieben Jahre später sass Brynjolfsson auf Einladung von Google in Kalifornien zum ersten Mal in einem selbstfahrenden Auto. Darum war es für ihn Routine, als er letzten Donnerstag am Swiss Economic Forum in Interlaken BE am Prototyp eines selbstfahrenden VW-Busses posiert. Er ist überzeugt: Autos, die ohne Chauffeur fahren, sind erst der Anfang einer grossen Umwälzung.

Herr Brynjolfsson, werden auch in 50 Jahren zwei Journalisten einen Professor befragen – oder sitzen dann Roboter hier? 
Erik Brynjolfsson:
So weit kann ich nicht in die Zukunft blicken. Aber schon in den nächsten zehn Jahren werden wir sehr viele Umwälzungen erleben. Die Technologie entwickelt sich viel schneller, als die meisten vorausgesagt haben; ­einige Computer können heute Sprache besser verstehen als Menschen. Eine Menge Firmen ersetzen Angestellte gerade durch Maschinen. Viele von uns werden sich in den nächsten zehn Jahren andere Jobs suchen müssen.

Welche Jobs sind am meisten gefährdet?
Bisher wurden Routine-Jobs vernichtet, in denen die Menschen immer den gleichen Ablauf wiederholt haben. Fliessbandarbeit. Bald werden auch Jobs verschwinden, für die Interaktion und Wahrnehmung nötig sind. Maschinen können heute besser sehen als Menschen. Darum können sie jetzt Auto fahren.

Also müssen alle Chauffeure zittern?
Ja, in den nächsten zehn Jahren werden sie grosse Konkurrenz durch Maschinen erhalten. Aber auch Besserbezahlte sind ersetzbar. Pathologen zum Beispiel. Maschinen können heute besser Krebs erkennen als Menschen. Oder Anwälte: Maschinen können genauso gut in Gesetzesbüchern den relevanten Paragrafen finden.

 

Welche Lehre soll ein Jugendlicher heute wählen?
Eine, die eine Maschine nicht ersetzen kann. Wer forscht oder ein Projekt plant, muss kreativ sein und vorausdenken können. Weitere sichere Berufe sind solche, die emotionale Intelligenz erfordern. Menschen haben gelernt, subtile soziale Hinweise wahrzunehmen und emotionale Beziehungen aufzubauen. Pflegen, verkaufen, überzeugen. All das können Maschinen noch nicht gut.

Irgendwann werden sie es wohl auch können. Dann herrscht Massenarbeitslosigkeit. Doch brauchen wir nicht Arbeit zum Glücklichsein?
Das hat uns bloss unsere Kultur beigebracht. Ich bin überzeugt: Wir werden Aufgaben finden, die uns erfüllen, und nicht nur he­rumhängen und Drogen nehmen. Aber das ist Zukunftsmusik. In den nächsten zehn Jahren gibt es genug Arbeit, bloss müssen viele Menschen etwas anderes machen als bisher.

Wo zum Beispiel gibt es neue Jobs?
Eine Jungfirma hat Menschen neue Jobs in der Medizinbranche verschafft: Sie motivieren Patienten, sich an die Vorgaben des Arztes zu halten, Übungen zu machen, Medikamente einzunehmen. Sie brauchen dazu weder Medizin-Erfahrung noch ein Uni-Diplom. Dafür wissen sie, wie man mit Menschen umgeht. Das rechnet sich. Viele Patienten halten sich nicht an die Vorgaben des Arztes. Lässt sich das ändern, spart man mehr Geld, als diese neuen Jobs kosten.

Alte Jobs verschwinden, neue entstehen.
Das passiert seit Jahrtausenden. Nur geht jetzt alles viel schneller. Niemand mehr kann sich nach der Grundausbildung zurücklehnen. Jeder muss sich weiterbilden. Wir müssen alle wie Uber-Fahrer werden: Wir sind bald alle kleine Ich-AGs.

Warum kommt Innovation selten von den grossen, traditionellen Firmen?
Die traurige Wahrheit ist, dass diese Konzerne den Übergang kaum schaffen werden – weil sie nicht jene sind, die anders denken. Aber es gibt Ausnahmen wie General Electric oder IBM, die Anfang der 1990er-Jahre fast bankrott waren und jetzt wieder vorne dabei sind. Firmen müssen eigene Produkte kannibalisieren und auf neue Ideen setzen. Kodak etwa war führend in der Digitalfotografie. Die Firma ging bankrott, weil sie Angst hatte, die erfolgreiche analoge Fotografie anzugreifen. Viele machen einen grossen Fehler: Sie wollen die Wirtschaft von gestern einfrieren.

Zum Beispiel US-Präsident Donald Trump.
Ja, aber es wird ihm nicht gelingen. Die USA sind eine der dynamischsten Volkswirtschaften der Welt. Je nach Regierungsprogramm wird sich der Wandel ein wenig verlangsamen oder beschleunigen.

Was kommt langfristig: in 30, 40, 50 Jahren?
Das hängt davon ab, welche Entscheidungen wir jetzt treffen. Die Digitalisierung kann mit Abstand das Beste sein, was der Menschheit je passiert ist. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass der Reichtum noch stärker auf nur wenige konzentriert wird und noch mehr Menschen von der Entwicklung abgehängt werden.

Reisst die Digitalisierung die Schere zwischen Arm und Reich weiter auf?
Dieses Szenario beunruhigt mich sehr. In den vergangenen 200 Jahren haben alle davon profitiert, dass die Wirtschaft gewachsen ist. Aber seit etwa 20 Jahren steigt die Produktivität im Westen weiter, nur ist die Mittelschicht kein bisschen reicher als zuvor. Mit maschineller ­Arbeit wird immer mehr Profit erwirtschaftet, mit menschlicher Arbeit immer weniger. Als Resultat ist der ganze Kuchen zwar so gross wie nie zuvor. Aber der Anteil, den die arbeitende Bevölkerung davon erhält, schrumpft.

Erwarten Sie Aufstände und Revolutionen?
Wir stecken schon mittendrin. Denken Sie an die Menschen, die für Trump und den Brexit waren. Das waren doch jene, die sagen, dass die Wirtschaft heute für sie nicht mehr funktioniert. Sie haben recht. Ich glaube zwar, dass Trumps Antworten nicht die besten sind. Doch wir brauchen Antworten. Wenn wir keine finden, dann werden die Menschen noch wütender. Der Arabische Frühling hat uns gezeigt, wie schnell und unerwartet sich die Dinge entwickeln können.

Was, wenn die Mehrheit der Menschen den digitalen Wandel gar nicht will?
Die technologischen Veränderungen sind unausweichlich. Aber nicht nur das. Wir sollten erkennen, dass sie wünschenswert sind. Wir können mehr Wohlstand schaffen, Krankheiten heilen, weniger langweilige Arbeiten verrichten. Wir sollten uns schämen, wenn wir das als etwas Schlechtes ansehen würden!

Demjenigen, der seinen Job verliert, nützt diese Erkenntnis wenig.
Ich verstehe, dass viele Leute frustriert sind. Aber sie sind es darum, weil der Wohlstand ungleich verteilt wird. Also müssen wir die notwendigen Massnahmen treffen. Die wichtigste: Bildung. Wir müssen mehr Geld investieren und sie komplett verändern. Heute wird jede Kreativität ausgemerzt: Es geht darum, still am Pult zu sitzen, Regeln zu befolgen, auswendig zu lernen. Genau das aber können Maschinen viel besser. Die Bildung der Zukunft muss Spielen, Kreativität und Teamfähigkeit fördern.

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