Am Ende seines Interview-Marathons flüchtete Dario Quenstedt erst einmal in die Kabine. Die Gefühlsexplosion nach dem gehaltenen Siebenmeter in der Schlusssekunde, die zahlreichen Gratulanten, die vielen Autogramme – der Torhüter der deutschen Handballer brauchte für einen Moment seine Ruhe.
Runterkommen nach dem aufwühlenden 24:23-Erfolg gegen Kroatien, durchpusten nach seiner perfekten EM-Bewerbung im letzten Länderspiel des Jahres.
Quenstedt ließ sich von der Euphorie um seine Person nicht anstecken. Im Gegenteil. „Die Lust ist natürlich da, und die Tür ist offen“, sagte der Keeper des THW Kiel, angesprochen auf eine mögliche EM-Nominierung durch Bundestrainer Christian Prokop.
Doch, das fügte Quenstedt in seiner bescheidenen Art an, nun liege es „an jedem Einzelnen, sich in der Liga mit seinen Leistungen zu empfehlen. Und am Ende muss Christian entscheiden, wen er mitnimmt.“
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Quenstedt: EM-Ticket noch nicht sicher
Prokop, der im Vorfeld der beiden Kroatien-Spiele mit der Berufung von Quenstedt anstelle des langjährigen Stammkeepers Silvio Heinevetter für Schlagzeilen gesorgt hatte, registrierte den Rummel um Quenstedt – vermied nach außen aber ein Gefühl von Genugtuung.
Der Torhüter, zur Pause gekommen, sei der „entscheidende Impuls“ gewesen und habe „ganz wichtige Paraden“ gezeigt. Sein EM-Ticket habe Quenstedt, der nach dem ersten Spiel (26:25) noch Startprobleme hatte und unzufrieden mit sich selbst war, damit allerdings nicht sicher. „Noch nicht“, sagte Prokop. Er grinste.
Die Ausbootung Heinevetters – dessen Ära bei den Füchsen Berlin auch vor einem viel diskutierten Ende steht – war ausdrücklich nicht endgültig. Das dürfte sich ändern für den künftigen Melsunger, wenn Quenstedt weiter überzeugt.
Zwei Spiele, zwei Siege – und eine Menge wichtiger Erkenntnisse: Prokop zog ein positives Fazit der letzten Lehrgangswoche des Jahres. „Wir haben die Aufgaben gegen bissige und aggressive Kroaten mit Bravour gemeistert und uns Selbstvertrauen geholt. Viele, die dabei waren, haben ihre Chance genutzt“, sagte der DHB-Coach.
Neben Quenstedt, der auch im Gespann mit Platzhirsch Andreas Wolff nach seinem Vernehmen „sehr gut harmonierte“, dürfte Prokop damit auch Rückkehrer Julius Kühn und Tobias Reichmann gemeint haben.
Prokop: „Ende der Fahnenstange ist erreicht“
Das Team, so bilanzierte der Bundestrainer, verfüge gut zwei Monate vor der EM über einen „guten Mix aus Erfahrung und jungen Leuten, die Dampf machen“. Man sei in den beiden Tests gegen den zweimaligen Olympiasieger „nichts großartig schuldig geblieben. Aber wenn man in die Tiefe geht, sieht man schon Verbesserungspotenzial.“
Luft nach oben offenbarte die DHB-Auswahl in der Offensive. Gegen die robuste kroatische Deckung fehlte es lange Zeit an Ideen, eine ordnende Hand auf der Spielmacher-Position suchte man in einigen Phasen vergebens. Die Berliner Fabian Wiede und Paul Drux mühten sich nach Kräften, doch die Ausfälle der etatmäßigen Mittelspieler Simon Ernst, Tim Suton (beide Kreuzbandriss) und Martin Strobel (Reha nach Kreuzbandriss) wiegen schwer.
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„Da darf nicht mehr viel passieren, das Ende der Fahnenstange ist erreicht“, sagte Prokop. Zumindest bei Strobel, der in Balingen unmittelbar vor seinem Comeback steht, gibt es noch die Hoffnung, dass er bis zum EM-Start am 9. Januar in Trondheim gegen die Niederlande wieder dabei ist. „Wenn seine Leistung stimmt, ist er bei uns ein entscheidender Mann, davon rücke ich nicht ab“, sagte Prokop.
Zu den entscheidenden Männern, das wird nach den Länderspielen gegen Kroatien immer wahrscheinlicher, dürfte im Januar auch Dario Quenstedt gehören.