Witzig und wehmütig: Thees Uhlmanns Comeback-Album berührt

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Thees Uhlmann trägt das Herz auf der Zunge. Er teilt gern mit, was er mag, was ihn begeistert, nervt oder traurig macht. Auf seinem neuen Soloalbum zelebriert der einstige Frontmann der Deutschpop-Band Tomte besonders freigiebig das Einflechten von Namen bekannter Persönlichkeiten: «Junkies und Scientologen» ist eine Namedropping-Platte – und sie macht (nicht nur deswegen) großen Spaß.

«Es hat mir geholfen, über Menschen zu schreiben. Aber dass es am Ende 42 sind, hätte ich nicht gedacht», sagt Uhlmann lachend im Interview der Deutschen Presse-Agentur, in dem er einen Teil der Namen Revue passieren lässt. Sein Nachdenken über unterschiedlichste, mehr oder weniger berühmte Mitmenschen führte zu spannenden Songs: mal witzig, mal wehmütig, mal wütend.

Horror-König Stephen King, der tragische schwedische Elektropop-Star Avicii neben ABBA und Jürgen Klopp, die Ramones und der U2-Prediger Bono, Katy Perry, die Scorpions im Lied «Was wird aus Hannover», Martin Luther King, Bob Dylan – und noch viele, viele mehr: Es ist eine originelle Promi-Parade, die der 45-Jährige zum kraftvollen, von großen US-Vorbildern geprägten Rock aufmarschieren lässt. Man muss Uhlmann einfach gern haben für seine Ehrlichkeit und Empathie.

Mit seinem Solodebüt hatte der in Hemmoor (Nordniedersachsen) geborene Songwriter 2011 direkt Riesenerfolg – Platz 4 der deutschen Albumcharts. Es schadete sicher nicht, dass der Sänger und Gitarrist als «Deutschlands Bruce Springsteen» vermarktet wurde, Musik und Texte ließen den Vergleich durchaus zu. Der Albumnachfolger «#2» (2013) – passenderweise Charts-Rang 2 – lief sogar noch besser.

Danach las der in Berlin lebende Uhlmann Springsteens Autobiografie «Born To Run» (2016) als Hörbuch ein. Mit dem eigenen Roman «Sophia, der Tod und ich» (Kiepenheuer & Witsch) und einer langen Lesetour schaffte er den Durchbruch als Buchautor. Am 10. Oktober bringt er ein Buch über die Toten Hosen aus Kollegen- und Fan-Sicht heraus.

Aber neue Lieder? Da war lange Fehlanzeige. Schon im Opener von «Junkies und Scientologen» geht Uhlmann nun direkt darauf ein. «Fünf Jahre nicht gesungen» heißt der Song, in dem er seinen kreativen Durchhänger thematisiert: «Ich habe alles versucht/es hat nicht gereicht/allein in der Stadt/einsam hinter dem Deich».

Uhlmann wollte viel früher als Musiker wieder zurück sein. «Ich habe Lieder geschrieben, die ich aber selbst blöd fand. Ich habe mich für meine eigenen Texte geschämt», sagt er im dpa-Interview in Berlin. «Ich habe das dann vor mir zugegeben und bin noch mal tiefer in mich ‚reingegangen.»

Motiviert habe ihn auch das, was Uhlmann als «Dreieck der Schande» bezeichnet: der Brexit, Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten, der Aufstieg der rechten AfD in Deutschland. «Ich hatte so viel Wut darüber in mir und so viel Unverständnis. Deswegen dachte ich: Die Texte müssen härter und konkreter werden. Mehr Nachdenken, tiefere Gedanken – der Versuch, diesem ganzen Mist die Schönheit der Kunst entgegenzusetzen. Deshalb hat das so lange gedauert.»

Uhlmann hat kein Problem damit, sich zur Provinz zu bekennen – denn da kommt er her. Mit seiner jetzigen Wahlheimat, wo er Kindheit und Jugend seiner Tochter begleitet, ist der Mitgründer des Hamburger Indie-Plattenlabels Grand Hotel van Cleef nie ganz warm geworden. «Ich glaube, ich bin zu schwach für Berlin, ich bin zu klein für Berlin, ich bin nicht hart genug für Berlin», sagt er. «Aber aus dem Vermissen von Norddeutschland, dem Bedürfnis nach mehr Ruhe und weniger Menschen, wird bei mir schon auch Kreativität freigesetzt.»

Die von einer Band mit Produzent Simon Frontzek eingespielten Songs sind so melodisch und mitreißend wie von früheren Uhlmann-Alben gewohnt – seine Texte sind reifer, klarer, teils auch politischer. «Der Deutsche ist erst zufrieden/wenn jemand am Boden liegt/und dann lobt er sich selbst/und tritt noch mal rein», giftet Uhlmann. Oder er verurteilt Frauenfeindlichkeit im Hip-Hop. «Wenn’s dann einen Shitstorm der Szene gegen mich gibt: Das halte ich schon aus», sagt er im Interview und schimpft noch ein bisschen auf die Macho-Rapper.

Skepsis, Trotz, auch Melancholie klingen oft durch in den neuen Uhlmann-Songs: «Mein ungebrochenes Unverständnis gegenüber der Welt», so nennt er das im gut sechsminütigen, epischen Titelstück. Aber am Ende bleibt doch Hoffnung – aufs «Morgenrot», auf die Zukunft.

Thees Uhlmann hat mit «Junkies und Scientologen» ein hellwaches, kluges Deutschrock-Album zur Stunde gemacht. Die Erfolgschancen nach so langer Abwesenheit beurteilt er vorsichtig: «Vielleicht ist Rockmusik ja tot. Wir haben auch keine Schauwerte zu bieten – keine nackten Frauen und keine Konfettikanone auf der Bühne. Aber unsere Fans wissen, dass sie von mir nicht verarscht werden.»

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