Heiner Brand wird am Pfingstsonntag nicht nach Bietigheim fahren. Dort kämpft sein VfL Gummersbach gegen den ersten Abstieg nach 53 Jahren in der Handball-Bundesliga, und „die hohe nervliche Belastung wäre mir zu viel“, sagt Brand.
Sein ehemaliger Teamkollege aus den goldenen Gummersbacher Jahren bleibt deutlich gelassener. „Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist“, sagt Kult-Torhüter Andreas Thiel: „Es hat doch immer irgendwie geklappt.“
Gummersbach prägte den Handball
Vor allem aber ist es in den letzten beiden Jahrzehnten immer irgendwie bergab gegangen im Oberbergischen Land, wo man in den Siebziger und Achtziger Jahren die Sportart prägte. Überall war der VfL Gummersbach ein Begriff, jeder Spieler, der was auf sich hielt, wollte das blau-weiße Trikot tragen, und jeden holte der legendäre Macher Eugen Haas „nach Hause“, wie er oft zu sagen pflegte.
Irgendwann kamen dann die Rattenfänger in die Stadt. So jedenfalls formuliert es Hansi Schmidt, fast 13 Jahre lang Torjäger und Identifikationsfigur des VfL Gummersbach. „Irgendwann haben sie angefangen, hinter den falschen Leuten herzurennen, und das machen sie bis heute“, sagte der 76-Jährige. „Gravierende Fehler“ seien in den letzten Jahrzehnten begangen worden von „Leuten, die meinen, viel mehr zu sein als sie sind. Man hat sich auf altem Lorbeer ausgeruht, aufs falsche Pferd gesetzt, falsche Entscheidungen getroffen. Bis heute.“
Kühn und Drux entwicken
Nun waren viele dieser vermeintlich falschen Entscheidungen wohl auch die Folge finanzieller Nöte, die erstmals Ende der Neunziger offenbar wurden. „Der VfL war häufig in einer Position, in der man nicht nach vorne schauen durfte, sondern nach hinten gucken musste“, sagt Andreas Thiel (59), Rechtsanwalt in Köln, Justiziar der Handball-Bundesliga (HBL) und Vorsitzender der Handball Bundesliga Frauen (HBF). Bedingt durch die Verpflichtung, negatives Eigenkapital abzubauen, sei Gummersbach in seinen Möglichkeiten, neue Spieler zu verpflichten, immer wieder begrenzt gewesen.
Und dennoch schaffte es der VfL, junge Leute zu holen und sie zu erstklassigen Handballern zu entwickeln. Toptorjäger Julius Kühn, Paul Drux oder Simon Ernst beispielsweise weckten als Leistungsträger beim VfL schnell das Interesse der finanziell besser ausgestatteten Konkurrenz. „Ich habe ja immer darauf gedrungen, junge Leute zu holen und sie auszubilden“, sagt Heiner Brand: „Leider sind auch die jungen Leute mittlerweile sehr teuer geworden.“
Sieg in Bietigheim Pflicht
Brand beklagt zudem die „fehlende Grundeinstellung“ in der aktuellen Gummersbacher Mannschaft, die am Mittwoch gegen Frisch Auf Göppingen 22:26 verlor und zur Rettung aus eigener Kraft beim direkten Rivalen Bietigheim gewinnen muss (Tabelle der Handball-Bundesliga).
„Die Basis müsste eine knallharte Abwehr sein“, sagt der 66-Jährige: „Außerdem darf sich in einer eher durchschnittlichen Mannschaft nicht jeder das Recht herausnehmen, im Angriff ständig Fehler zu machen.“
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Und so taumelt der größte Name in der Geschichte des deutschen Handballs ungebremst dem Absturz entgegen. Der möglicherweise sogar erst in Liga drei endet, denn die Lizenz für die zweite Liga hat der VfL nur mit Auflagen erhalten. Sollte Gummersbach bis Freitag eine finanzielle Lücke im fünfstelligen Bereich nicht decken können, wäre bei einem Abstieg ein Spielbetrieb in Liga zwei nicht möglich.
„Vielleicht“, sagt Hansi Schmidt: „Wäre das ja sogar die große Chance für den totalen Neuanfang.“