TV-Tipp: Tatort: Auge um Auge

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Ein Gläschen Sekt mit Blick über die Stadt, auch wenn die Zeiten gerade schlecht sind. «Auf uns», sagt Ines Böhlert (Marie Leuenberger) und küsst ihren Mann Harald (Peter Schneider). Als sie noch einmal zum Auto geht, lenkt der seinen Rollstuhl auf die gefährlich abschüssige Straße.

Der «Kurzschluss» zu Beginn des neuen Dresden-«Tatort» endet glimpflich. Der vierte Fall des sächsischen Ermittlerteams wird an diesem Sonntag (20.15 Uhr) unter dem Titel «Auge um Auge» im Ersten ausgestrahlt.

Zur gleichen Zeit gibt der Abteilungsleiter seiner Versicherung im schicken City-Büro Anweisung, den um seinen Anspruch kämpfenden Kunden Böhlert weiter hinzuhalten. «Sie wissen ja, Zeit ist unsere wichtigste Mitarbeiterin», frotzelt er – und lacht selbstgefällig ins Telefon. Nur Sekunden später ist er tot: nach drei gezielten Schüssen vom Hochhausdach. «Ein Scharfschütze in der Versicherung», witzelt Kommissariatschef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach).

Er und die Hauptkommissarinnen Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) geraten in ein Geflecht aus Intrigen und knallharter Firmenpolitik. Betrug, Eifersucht, Machtstreben, die Motivlage ist so breit wie das Portfolio der Verdächtigen. Es geht um Mobbing am Arbeitsplatz, enttäuschte Versicherte, um Positionen und Aufstieg, Gerechtigkeit und Rache. Dabei hat die Kripo den wahren Täter lange nicht auf dem Schirm.

Drehbuchautor Ralf Husmann hat ein Zeitungsartikel inspiriert, der die im Film gezeigte Entwicklung skizzierte. Die Leute vertrauten darauf, dass ihnen mit einer Versicherung nichts passieren kann. Aber auch die handelten nach der Maxime: so spät und so wenig wie möglich zahlen. Das könne Betroffene im Einzelfall die Existenz kosten. «Das fand ich, ist eine gute Grundlage für einen Krimi.»

Und Husmann gefiel die Idee, «Verunsicherung in eine Versicherung zu bringen». Sein dritter Dresden-«Tatort» zeige, dass Betrüger auch im Großraumbüro sitzen könnten. Das Format «Tatort» bilde ja auch Zeitgeschehen ab und gesellschaftlich relevante Themen. Und die Dresdner Fälle bewegten sich in einem Umfeld, wo politisch etwas passiere. «Das ist besonders spannend.»

Davon sieht man im Fernsehen aber so gut wie nichts mehr. Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) hat die anfangs zitierte Szene mit dem lebensmüden Harald gleich zweimal bearbeitet und schließlich alle Hinweise auf die rechte Gesinnung der jungen Männer, die ihn vom Selbstmord abhalten, entfernt, die zuvor zu sehen waren.

Mit Verbrechern im Anzug wird abgerechnet. «Die Leute stehen an der falschen Stelle, vor Flüchtlingsheimen», sagt eine Aktivistin. «Bei Versicherungen, Banken und Konzernen, wo die Wut hingehört, steht keiner.»

Höfels hält die Auseinandersetzung mit aktuellen Themen für unumgänglich. «Der Tatort meint Verantwortung», zitiert sie das Presseheft. Reale Bilder der Gesellschaft zu zeichnen, eine gesellschaftspolitische Haltung und Vision zu vertreten, sei die große Chance dieses Formats. Ihr Engagement für Flüchtlinge – sie verschenkt den ausgemusterten Computer vom Chef an eine Syrerin – stößt nicht nur auf Beifall.

Schnabel spricht von «Entwendung von Staatseigentum», von Verlust von Recht und Ordnung, Sieland attestiert ihm, «in allem, was neu und fremd ist, ’ne Verschlechterung» zu sehen. Auch dabei stehen die beiden wesensverschiedenen Kommissarinnen zusammen. Sie haben an Kratzbürstigkeit verloren und sind emotionaler als bisher. «Ich habe die beiden Frauen etwas weiblicher, widersprüchlicher gemacht», sagt Regisseurin Franziska Meletzky.

Auch am Tatort knistert es, ein Verdächtiger gilt als Womanizer. Ein Projektil in der Hauspost und Todesanzeigen für Mitarbeiter im Intranet aber sorgen für Angst und Aufregung – bis zum nächtlichen Showdown am Tatort, zwischen Glas und Stahl.

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