M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier: Ich trinke, also bin ich

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Tapfer und unerschrocken sitzt dieses gestandene Mannsbild da und kippt einen sommerlich leichten Aperitif in die Mitte seines bärtigen Hanseatengesichts.

Ich bin ehrlich beeindruckt. Bestellen sich Männer in der Regel doch schon deshalb keinen Aperol Spritz, weil zahllose „Piccolöchen“-Gags in Sat-1-Schwulenkomödien ihnen die Möglichkeit verbaut haben, das zu trinken, was ihnen womöglich besser schmeckt als Bier.

Vor Jahren habe ich mal eine Brauerei besucht. Noch bevor mir der Geschäftsführer beibringen musste, dass ich dort nicht würde einziehen dürfen, erzählte er mir, dass man für Gastronomien eine 0,2-Liter-Flasche Bier plane. Name: „La Piccola“.

Kastrationsängste eines Ruhrgebietsgeprägten

Ehrlich entsetzt über so wenig Volksnähe sah ich mich genötigt, ihn aufzuklären, dass kein Mann jemals an einer Theke stehen und sich ein Getränk namens „La Piccola“ bestellen würde. Kastrationsängste eines Ruhrgebietsgeprägten.

Die Flasche kam nie auf den Markt.

Ich bin absolut überzeugt, dass aus demselben Grund damals die „Cola Zero“ eingeführt wurde. Welcher Mann ordert schon gern ein „Light“-Produkt und gibt somit zu, sich um seine Figur zu scheren?

Getränke sind identitätsstiftend. Im Freundeskreis war ich lange als begnadeter Biertrinker bekannt, was mir den schmeichelhaften Spitznamen „Tyrannosaurus Beck’s“ eingebracht hat.

Ganz avantgardistisch gesellte sich dann aber irgendwann Gin Tonic dazu. Der war damals noch selten, heute macht jeder, der einen Chemiebaukasten daheim hat, seinen eigenen Gin. Jede Stadt hat ihre eigenen Brennereien, jede Bar die komplette Auslage voll mit dem Zeug, und ich sehe meinen Individualismus bedroht.

Die Supermärkte waren voll mit Hugo-Drinks

Trinkt noch irgendwer Wodka Lemon? Comeback gefällig? Ein ehrlicher Klassiker, so wie die Mercedes E-Klasse. Nicht, dass man die Fahrt sonderlich genossen oder was zum Prahlen hätte – aber man kommt ans Ziel.

kurzbio beisenherzEbenso ist es im Sommer 2017 fast schon wieder ironisch lässig, sich einen an sich total outen Hugo zu bestellen – dieses Versicherungsfachangestelltenkoks, das um die Jahrzehntwende dafür sorgte, dass in Deutschland plötzlich flächendeckend Holunderblüten geerntet wurden.

Die Supermärkte waren voll mit Hugo-Drinks. Selbst an Tankstellen konnte man palettenweise Dosen kaufen mit – Obacht! – „City Hugo“. Für den echt urbanen Rausch!

Der Name des Getränks ist übrigens keine Hommage an den bekannten Schriftsteller Victor Hugo. Genauso wenig wird der im Raum Gelsenkirchen-Ückendorf sehr beliebte Kneipier Hugo Czaberniak damit geehrt. Tatsächlich hat der Erfinder des Cocktails, Roland Grüber, den Namen einfach zufällig ausgewählt.

Anders als Deutschlands heimlicher Bundespräsident Udo Walz, der von dem Trend zu profitieren hoffte und einem verdutzten Volk den nach ihm benannten „Udo“ präsentierte. Ein grandioser Misserfolg.

Merke: Eine Welle, die du nicht selbst gelegt hast, lässt sich schwerlich reiten.

Und ebbt schnell ab.

Der Mensch liebt Moden, und so wird sich der in diesem Jahr sehr beliebte Negroni irgendwann auf dem Trendgetränkefriedhof einfinden.

Neben Cosmopolitan, Batida-Kirsch, Pfeffi, Flimm und Zaza-Apfelsaft.

Eine Frage jedoch bleibt: Was bitte mache ich mit meinem Vorrat „City Hugo“, wenn ich aufs Land ziehe?

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