Nach diesem unglaublichen Finale leuchtete Rafael Nadals magische Zahl minutenlang über den Köpfen der Menschen im Arthur Ashe Stadium auf der Video-Leinwand: 19!
So viele Grand-Slam-Titel hat der 33-jährige Spanier jetzt also gewonnen, einer fehlt ihm noch zum Rekord von Legende Roger Federer, den viele für den besten Tennisspieler aller Zeiten halten.
Nadal weinte, als all seine Titel – angefangen beim French-Open-Sieg 2005 bis zum hart erkämpften Triumph am Sonntagabend – über den Bildschirm flimmerten. Und sein geschlagener Gegner Daniil Medvedev scherzte später: „Was hättet ihr denn gezeigt, wenn ich gewonnen hätte?“ Aber auch er fand die Zahl schlichtweg „unglaublich“ und Nadals Spiel nannte er etwas ironisch „einen riesigen Witz“.
Nadal kontert gegen Medvedev
Kein Wunder, hatte Nadal doch selbst im fünften Satz noch so energisch verteidigt wie bei seinen ersten ATP-Erfolgen vor 15 Jahren und einen scheinbar unerreichbaren Ball nach dem anderen herausgekratzt, um dann im richtigen Moment per Konterschlag zu punkten.
Nadal in dieser Form: physisch fit, mental stark und spielerisch so variabel wie nie. Da ist es wahrscheinlich, dass er den 38-jährigen Schweizer mit seinem Grand-Slam-Rekord von 20 Titeln insgesamt noch überholt. Nimmt man den Vergleich nach Alter, führt Nadal sogar jetzt schon, denn Federer hatte mit 33 Jahren und drei Monaten erst 17 Major-Titel gewonnen.
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„Ich schaue nicht darauf“, betonte Nadal nach seinem Sieg einmal mehr, und erklärte: „Natürlich wäre ich gerne derjenige, aber dafür spiele ich nicht Tennis. Tennis ist mehr als Grand Slams, Tennis macht mich glücklich.“
Nadals Vorteil gegenüber Federer
Genau diese Gelassenheit könnte Nadals großer Vorteil im Rennen um die Krone sein. Denn Roger Federer wirkte in den entscheidenden Spielen zuletzt ungewohnt angespannt und nervös. Spielerisch ist er mit 38 Jahren – ganz normal – nicht mehr auf seinem Top-Level, die Zeit scheint ihm wegzulaufen. Seinen letzten GS-Titel gewann er im Januar 2018 in Australien. Danach schied er bei vier von sechs Teilnahmen vor dem Halbfinale aus (zweimal sogar im Achtelfinale) und ließ bei seinem Finale in Wimbledon 2019 zwei Matchbälle und zahlreiche Chancen ungenutzt.
Zudem wirken sowohl Federer als auch der 32-jährige Serbe Novak Djokovic, mit 16 Grand-Slam-Titeln der dritte Anwärter auf die Krone, zuletzt verletzungsanfälliger als Nadal. Beide hatte in New York mit körperlichen Problemen zu kämpfen, Djokovic musste im Achtelfinale aufgeben.
Nadal dagegen stand bei den letzten sieben Grand-Slam-Turniern immer mindestens im Halbfinale, siegte zweimal in Paris und jetzt in New York. Das überrascht, weil er – der muskelbepackte Stier – eigentlich das körperbetonteste Spiel der Dreien hat.
Nadal: „Habe mein Spiel angepasst“
Viele sagten ihm ein frühes Karriereende voraus. Das Gegenteil aber ist der Fall: Auch Nadal teilt sich seine Saison mittlerweile viel bewusster ein, lässt Turniere aus und hat seinen Gameplan an den entscheidenden Stellen umgestellt. Bei den US Open sah man ihn immer wieder Serve-and-Volley spielen, Asse schlagen und den schnellen Abschluss suchen, um Ballwechsel kürzer zu halten. Auf diese Weise kann Nadal sicher noch einige Jahre auf höchstem Niveau ganz vorne mitmischen.
„Ich habe mein Spiel nach Verletzungen an meine Probleme und das Älterwerden angepasst“, sagte Nadal auf Nachfrage von SPORT1 selbst dazu, und ergänzte: „Aber wie lange ich noch auf dem Platz stehen werde, weiß ich nicht. Es kann viel passieren.“
Solange Nadal noch auf dem Platz steht, wird er mindestens auf Sand weiter dominieren und beim Grand-Slam-Turnier in Paris, wo er seit 2005 zwölf Mal (!) gewonnen hat, seine Titelzahl Jahr für Jahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufstocken. Schon in Melbourne, wo er in den vergangenen drei Jahren zweimal im Finale stand, könnte er Anfang des nächsten Jahres mit Federer gleichziehen.
„Dass die Leute unseren Dreikampf verfolgen, ist gut für unseren Sport“, sagte Nadal. „Aber ich bin so oder so glücklich“. Ende des Jahres heiratet er, auch damit wird sich noch das ein oder andere Detail in seinem Leben verändern.
Ansturm der jungen Garde abgewehrt
Bei den US Open war er es, der den Ansturm einer jüngeren Garde mit Siegen gegen den 23-Jährigen Italiener Matteo Berrettini, den gleichaltrigen Koreaner Chung Hyeon oder eben Medvedev (Nadal: „Ihm gehört die Zukunft“) im Alleingang abwehrte.
Der lang angekündigte Generationenwechsel steht auf der ATP-Tour nun wohl tatsächlich bald bevor, auch das deutete dieses großartige Finale in New York an. So könnte sich in den nächsten zwei Jahren entscheiden, wer den ewigen Grand-Slam-Rekord mit in die sportliche Frührente nimmt. Für Djokovic dürfte die verbleibende Zeit wohl zu knapp sein, für Federer scheint sie abgelaufen.
Nadal hat also die besten Chancen – aber auch recht damit, wenn er sagt, dass Zahlen nicht das Wichtigste sind. Der Tennissport hat mit allen Dreien – Nadal, Federer, Djokovic – eine außergewöhnliche Zeit erlebt. Wir alle – Journalisten, Fans, Experten und Hobbyspieler – erleben diese goldene Ära noch immer. Und sollten jeden Moment davon, gerade mit einem Finale wie diesem, wertschätzen und genießen.