Wir haben uns längst an die dramatischen Fernsehbilder von afrikanischen Flüchtlingen in seeuntüchtigen Booten auf dem Mittelmeer gewöhnt. Wie wäre es denn, wenn Deutsche auf der Flucht wären, und die letzte Hoffnung für viele verfolgte Menschen bei uns wäre ein Land in Afrika?
Auf diesem Gedankenspiel basiert der in einer vielleicht gar nicht so fernen Zukunft spielende TV-Film «Aufbruch ins Ungewisse», der am Mittwoch (14. Februar) um 20.15 Uhr im Rahmen des ARD-Themenabends «Flucht aus Europa» im Ersten läuft.
In Europa herrscht Chaos, Rechtsextremisten haben in vielen Ländern die Macht übernommen. Der Anwalt und Familienvater Jan Schneider (Fabian Busch) aus Düsseldorf soll für seinen Einsatz für Minderheiten erneut ins Gefängnis kommen. Aber Jan ist physisch und psychisch am Ende, und beschließt, sich mit seiner Frau Sara (Maria Simon) und den beiden Kindern Nora (Athena Strates) und Nick (Ben Gertz) auf den gefährlichen Weg in Richtung Afrika zu machen.
Das Ziel der Familie ist die Südafrikanische Union, die wirtschaftlich prosperiert und unter strengen Bedingungen politisch Verfolgte aufnimmt. Aber die Schneiders kommen nicht bis Kapstadt, sondern stranden in einem überfüllten Schlauchboot vor der Küste Namibias. Als an Bord Panik ausbricht, geht Sohn Nick über Bord. Alle Rettungsversuche scheinen vergeblich zu sein. Der Rest der Familie kann sich nach Südafrika durchschlagen und landet dort in einem streng bewachten Flüchtlingslager.
Regisseur Kai Wessel («Zeit der Helden», «Im Tunnel») und seine Drehbuchautoren haben mit «Aufbruch ins Ungewisse» eine bedrückende, aber plausibel erzählte Zukunftsvision entworfen. Wie fühlt es sich an, in einem überfüllten Schlauchboot das Gleichgewicht zu verlieren? Wie überlebt man als Europäer in einem schäbigen Flüchtlingscamp unter sengender afrikanischer Sonne? Wie steht es um die Intimität in einer kargen Gemeinschaftsdusche?
«Wir wollen das Leid jedes einzelnen Flüchtlings beleuchten», sagt Kai Wessel im Interview auf der ARD-Homepage, und dies gelingt überzeugend, auch dank der starken Darsteller. Fabian Busch verkörpert den politisch verfolgten Anwalt mit großer Intensität, Maria Simon als Ehefrau steht die Angst vor der ungewissen Zukunft in jeder Szene ins Gesicht geschrieben.
Die 1996 in Südafrika geborene Newcomerin Athena Strates («Deutschland 86») spielt die pubertierende Tochter Nora sehr glaubwürdig. Sie ist stinksauer, weil sie durch die Flucht aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen wurde, und entfremdet sich immer mehr von ihren Eltern. Die liegen schon länger über Kreuz, die Solidarität innerhalb der Familie scheint immer mehr zu bröckeln.
Flüchtlingsgeschichten haben ganz selten ein Happy End. Dies gilt auch für dieses TV-Drama, das zum Nachdenken anregt. Laut dem UNHCR-Jahresbericht von 2016 waren weltweit mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht, die Hälfte davon Kinder. Im Anschluss an den Spielfilm beschäftigt sich ab 21.45 Uhr die Talkrunde bei Sandra Maischberger ebenfalls mit dem Thema Migration.