TV-Tipp: Dieses bunte Deutschland

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Flüchtlinge bleiben meistens anonym. Kaum jemand kennt ihre Geschichte. Der Dokumentarfilm «Dieses bunte Deutschland – Über den Mut nach der Flucht» lenkt den Blick auf vier von ihnen. Das Erste zeigt ihn am Mittwoch (22.45 Uhr).

Zainap kommt aus Tschetschenien, ihr Mann wurde ermordet. Sie lebt nun in Groß Schönebeck, einem Dorf in Brandenburg. Said ist in Afghanistan groß geworden, er ist als Teenager geflohen – bis nach Pirna in Sachsen. Hasan hat Syrien verlassen aus Angst, in dem Bürgerkrieg dort kämpfen zu müssen und ist seinen Eltern nach Berlin gefolgt. Dafür hat er seine Frau und seine beiden kleinen Söhne zurückgelassen. Samiha ist ebenfalls aus Syrien geflohen. In Damaskus hat sie ein Ingenieurstudium abgeschlossen, nun ist sie in Leutkirch im Allgäu gelandet.

Sie alle haben Ängste, Hoffnungen und Träume, sie treffen auf Menschen, die ihnen helfen wollen, und auf solche, die sie ablehnen. Samiha will Deutsch lernen und studieren. Weil ihre Sprachkenntnisse noch nicht reichen, verzweifelt sie fast in einem Bewerbungsgespräch in einer Textilfabrik, aber sie gibt nicht auf. Zainap macht ein Praktikum in einem Kindergarten. «Am Anfang hat mich keiner gegrüßt», erzählt die Tschetschenin, «weder die Kinder noch die Eltern.»

Saids Vater ist tot, von seiner Mutter wurde er auf der Flucht getrennt. Nun hat er engen Kontakt zu einer Flüchtlingspatin in Pirna. Hasan hat Fotos seiner Söhne auf dem Smartphone gespeichert. Er unterhält sich mit ihnen per Skype. Seinen jüngsten Sohn hat er noch nie getroffen.

«Deutschland ist bunt» ist ein Film, der sich Zeit nimmt. Und das ist auch gut so. Weil es um Fragen geht, die sich nicht schnell beantworten lassen. Und weil die Schicksale der Flüchtlinge in Deutschland so viele Facetten haben, dass ein kurzer Blick darauf nicht reicht.

Der Nachteil der aktuellen Berichterstattung über Flüchtlinge ist die Konzentration auf den Augenblick. Und es ist die große Stärke dieses Dokumentarfilms unter der Gesamtregie von Jan Tenhaven, bei dem der Südwestrundfunk (SWR) und der Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb) kooperiert haben, dass er das Leben der Flüchtlinge ein ganzes Jahr lang verfolgt. Und auch zeigt, wie viele Schwierigkeiten es beim Ankommen in Deutschland gibt, wie mühsam es vorangeht.

«In dieser aufgeregten Zeit im Herbst 2015 entstand die Idee zu dieser Langzeitbeobachtung», sagte Martina Zöllner, beim SWR verantwortlich für die Hauptabteilung Film und Doku. «Wir wollten Flüchtlinge in Deutschland begleiten, nun da sie hier angekommen waren. Wir wollten ihre Gesichter sehen, ihre Stimmen hören», erläuterte Zöllner bei der Vorstellung des Films in Berlin, bei der auch die Protagonisten anwesend waren.

Said erzählt, er habe einen Ausbildungsplatz als Tischler. Im August geht es los. Hasan hofft immer noch darauf, seine Söhne bald wiederzusehen. Seine Frau hat sich inzwischen von ihm getrennt. Von seinem Asylverfahren gibt es nichts Neues, sagt er. Das ist auch bei Zainap so. Die Entscheidung über ihren Antraq steht noch aus. Mitte Mai ist sie Großmutter geworden.

Samihas Motto heißt «Mut ist Widerstand gegen die Angst». Der Film endet mit einer Szene, die zeigt, wie sie an einem See auf ein Geländer klettert. Sie steht auf dem obersten Balken, hält erst die Balance, springt dann doch und schwimmt. Sie hat die Angst überwunden. Und sie hat einen Studienplatz. Fast unvermeidlich wirft der Film eine Frage auf, die er nicht beantworten kann: Wie sieht die Zukunft für die vier Flüchtlinge aus? Vielleicht lohnt sich dazu ein nächstes Filmprojekt.

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