Bei der Einführung des Zugsicherungssystems der zweiten Generation ETCS Level 2 kann es zu grossen Verzögerungen kommen. Statt wie erhofft bis 2038 könnte der Ausbau bis 2060 dauern. Die SBB rechnet mit Milliardenkosten, die auf Bund und Bahnen zukommen.
Fraglich ist auch, ob die Umstellung auf ETCS Level 2 die Erwartungen erfüllen kann. Dies geht aus dem «Schlussbericht – Migrationsplanung ETCS Level 2» hervor, den die SBB auf Verlangen des Bundesamtes für Verkehr (BAV) erarbeitet hat.
Der Bericht wurde dem BAV am 16. Dezember vergangenen Jahres übergeben, wie die «Schweizer Eisenbahn-Revue» in ihrer jüngsten Ausgabe berichtete. Der Schlussbericht liegt der Nachrichtenagentur sda inzwischen auszugsweise vor.
Die SBB haben dem BAV zwei Varianten zur Umrüstung des Bahnnetzes auf ETCS 2 vorgelegt. Variante eins geschehe «im Rahmen des Substanzerhaltes der Sicherungsanlagen und der Ausbauten», heisst es im Bericht. In diesem Fall müssten jeweils die Sicherungsanlagen eines Bereichs ersetzt werden.
Dadurch würde aber ein «Flickenteppich» entstehen mit alten und neuen Zugsicherungsanlagen, schreibt die SBB. Ein solcher sei «betrieblich schwierig zu führen», gerade für die Lokführer. Und es werde viele «technisch komplexe Schnittstellen» zwischen alter und neuer Zugsicherung geben.
Zudem würde es bis 2060 dauern, bis so ETCS auf allen Strecken des Schweizer Schienennetzes eingebaut sei. Beginn des Umbaus wäre 2021. Die Kosten schätzt die SBB auf 9,5 Milliarden Franken. Hinzu kommen Folgekosten in Form von Zinsen von rund 300 Millionen Franken pro Jahr.
Die zweite Variante existiert zum Teil erst auf dem Papier. «Die Machbarkeit der Migrationsvariante zwei (neue Stellwerkstopologie) wird bis Ende 2019 geprüft», heisst es im Schlussbericht der SBB an das BAV. Später heisst es: «Der 2011 erwartete Nutzen von ETCS Level 2 bezüglich Kapazität, Sicherheit und Kosten kann heute nicht bestätigt werden.»
Die SBB erhofft sich von der Digitalisierung eine Kapazitätssteigerung auf dem Schienennetz um bis zu dreissig Prozent sowie deutliche Kosteneinsparungen. Gemäss «Eisenbahn-Revue» wurden aber die neuen digitalen Stellwerke für ETCS-Anwendungen, die die heutigen Stellwerke ersetzen sollen, bislang weder entwickelt, noch gebaut, geprüft oder zugelassen.
Die SBB würde dennoch Variante zwei bevorzugen, denn diese wäre auf lange Sicht günstiger und könnte rascher realisiert werden. Baubeginn wäre gemäss derzeitiger Planung 2024 oder 2025. Innerhalb von 13 Jahren könnte das Schienennetz durchgehend mit ETCS L2 ausgerüstet sein, denn es müssten nur die Stellwerk-Innenanlagen umgerüstet werden.
Die SBB rechnet mit Kosten von 6,5 Milliarden Franken. Die jährlichen Zinsen würden mit zusätzlichen rund 200 Millionen Franken zu Buche schlagen.
Die Umrüstung auf ETCS kostet Bund und Bahnen noch mehr, denn neben dem Bahnnetz müssen auch noch zahlreiche Loks und Zugkompositionen, vor allem im Regionalverkehr, aufgerüstet werden. Doch im Bericht werden dazu keine Zahlen genannt.
Ausgerechnet wurden dafür die Kosten für den Ersatz der alten Signalanlagen, ohne auf ETCS umzustellen: 6,1 Milliarden Franken plus jährliche Zinsen von 200 Millionen Franken.
Die SBB schrieb auf Anfrage der sda, ETCS sei keine Sackgasse. «Ziel bleibt es, ab 2025 ETCS netzweit und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten flächendeckend umzusetzen.» Dazu habe die SBB auch ein Projekt gestartet.
«Die Grundlagen dazu werden derzeit erarbeitet, damit wir 2019 einen fundierten Variantenentscheid fällen können», hiess es in der Stellungnahme weiter. In jedem Fall stehe «jetzt schon fest, dass wir die Bahntechnik weiterentwickeln, damit das Bahnsystem bezahlbar bleibt».
Beim European Train Control System (ETCS) Level 2 sind herkömmliche Aussensignale auf der Strecke nicht mehr nötig; der Lokführer sieht alle Signale auf einem Bildschirm. Verschiedene Hersteller bieten ETCS an, darunter Siemens, Alstom, Thales und Bombardier.
Die EU und die Schweiz hatten gehofft, dass mit der Zeit und angesichts der Volumina die Preise sinken würden. Doch dies ist nicht der Fall.
ETCS funktioniert problemlos auf offenen Strecken. Sobald die Topografie abwechslungsreicher wird, wird es aufwendiger. Auch in Bahnhöfen, oder wenn Züge rangiert werden, gibt es ungelöste Probleme. Zudem sind die Systeme sehr komplex und müssen laufend nachgerüstet werden.