Lehrermangel in Deutschland: Warum immer mehr Nicht-Pädagogen durch Quereinstieg Lehrer werden können

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Einfach so als Lehrer anfangen? Das gibt es doch nur im Film, könnte man meinen, wenn man sich „Fack ju Göhte“ anschaut. Zugegeben: Darin wird der Schulbetrieb ganz schön auf den Kopf gestellt. Aber kommt man wirklich ohne Lehramtsstudium zum Unterrichten? Tatsächlich ist das keine reine Fiktion. Wegen akuten Lehrermangels werden an deutschen Schulen immer häufiger auch Quer- und Seiteneinsteiger angestellt – ohne ein klassisches Lehramtsstudium. Allein von den 29.000 Lehrern, die im Sommer 2016 an deutschen Schulen neu angefangen haben, waren 2.436 Quereinsteiger – also fast jeder zehnte Lehrer. In Berlin waren es sogar rund 40 Prozent, in Sachsen 52 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr 2015 wurden 2016 bundesweit bei gut 36.000 Einstellungen doppelt so viele Quer- und Seiteneinsteiger genommen. Aus Lehrermangel.

Mit Fachstudium und Zusatzqualifikation ins Klassenzimmer

Auch Aness Yacoubi ist Quereinsteiger: Bevor er in Braunschweig anfing Französisch, Englisch, Erdkunde und Geschichte zu unterrichten, hat der 33-Jährige fünf Jahre lang als Flugbegleiter bei Air Berlin gearbeitet – bis ihm dieser Job zu unsicher wurde und er Anfang 2016 kündigte. Ursprünglich hatte der gebürtige Wolfsburger Französisch und Arabistik studiert, allerdings nicht auf Lehramt. Seine Schwester, ebenfalls Lehrerin, habe ihm aufgrund seiner guten Sprachkenntnisse zu einem Quereinstieg geraten, erzählt Yacoubi: „Dann wurde ich neugierig. Und durch die Motivation meiner Schwester hab ich es einfach mal gewagt.“ Aness Yacoubi schickte seine Bewerbung an die Landesschuldbehörde in Braunschweig und bekam kurz darauf tatsächlich einen Job als Französisch-Lehrer an der Nibelungen-Realschule angeboten. In einem Pädagogikseminar lernte er, wie man als Lehrer Konfliktsituationen löst und den Unterricht strukturiert. „Am Anfang war das schon sehr aufregend – wenn man noch nie vor einer Klasse stand und dann auf einmal unterrichten soll“, so der 33-Jährige. „Man macht sich schon Gedanken darüber: Wie ist mein Auftreten? Kann ich bei Störungen gut reagieren?“

Die angehenden Lehrer werden unter anderem im Fortbildungszentrum der sächsischen Bildungsagentur in Löbau fit für die Praxis gemacht. Ob Ingenieur, Diplom-Sportlehrer, Kirchenkantor oder Museumspädagogin – alle Seiteneinsteiger in den Kursen haben ein abgeschlossenes Studium in mindestens einem der Fächer, die sie künftig unterrichten sollen. „Die Lehrersituation ist nicht ganz einfach. Seit vielen Jahren klagen die Schulen, dass es zu wenig Lehrer gibt“, sagt Seminarleiterin Gabriele Kirfe, selbst pensionierte Lehrerin.

FAQ Quereinstieg als Lehrer

Fast alle Bundesländer haben Probleme, die offenen Stellen zu besetzen. Zum einen gibt es immer mehr Schüler, zum anderen werden zahlreiche Lehrer in diesen Jahren pensioniert. Besonders dramatisch ist der Lehrermangel derzeit an Grundschulen, wo Unterricht deswegen häufig schlicht ausfallen muss. An der Zinnowwaldgrundschule in Berlin Zehlendorf etwa arbeiten mehr als 30 Lehrerkräfte. Die drei Quereinsteiger unter ihnen sind für Direktorin Gudrun Mojem ein großer Gewinn, wie sie sagt: „Quereinsteiger können gute Lehrer sein. Es gibt immer Menschen, die einfach Talent haben. Und wenn dahinter noch eine große Motivation steht, kommt etwas Gutes dabei heraus“, so Gudrun Mojem. „Wäre ich allerdings an einer Schule, wo die Hälfte des Kollegiums aus Quereinsteigenden bestünde, gäbe es sicherlich ganz andere Probleme. Aber wir haben hier tolle, quereingestiegene Lehrkräfte.“

Dazu zähl Sandra Buchfink. Bevor die 42-Jährige an der Grundschule Naturwissenschaften, Sachkunde, Deutsch und Mathematik unterrichtete, war sie Tierärztin. Dass sie mit Kindern gut arbeiten und lernen kann, stellte sie schon bei ihren eigenen fest. „Ich habe Lesen mit ihnen geübt, ich habe mit ihnen das kleine Einmaleins geübt und habe irgendwann gedacht: Das macht mich glücklich!“, so Sandra Buchfink. Für die Lehramtsanwärterin steht in zwei Monaten bereits die Abschlussprüfung an, dann hat sie anderthalb Jahre Referendariat hinter sich. Sandra Buchfinks Familie hat sich damit arrangiert, dass die ehemalige Veterinärmedizinerin jetzt Lehrerin ist – auch wenn sie jetzt häufiger abends im heimischen Büro sitzt und Unterricht vorbereitet oder selbst lernen muss.

Auch für Realschullehrer Aness Yacoubi in Braunschweig hat sich der Arbeitsalltag grundlegend geändert. Inzwischen beginnt jeder Arbeitstag bei ihm regelmäßig um 7 Uhr morgens – als Flugbegleiter war das noch anders. „Ich denke, dass ich meine Berufung gefunden habe. Ich bin froh, dass ich einen Neuanfang eingeschlagen habe und ich bereue diesen Schritt nicht.“ 

Dürfen Lehrer das?

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