Gefangen im Paradies: Wie Apnoetaucherin Anna von Boetticher Hurrikan Maria (üb)erlebte

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Noch immer bangen die Bewohner der Karibikinseln, noch immer kündigen sich weitere Tropenstürme an. Dabei haben „Harvey“, Irma“ und letztlich „Maria“ mehrere der Inseln völlig verwüstet – hinterließen zerstörte Häuser, Straßen und Autos, legten die Infrastruktur lahm, vernichteten Ernten, töteten Tiere. Und zahlreiche Menschen ließen dabei ihr Leben. Allein auf der Karibikinsel Dominica starben 15 Menschen, während Hurrikan Maria dort vor wenigen Wochen tobte. Mittendrin befand sich zu der Zeit auch Anna von Boetticher.

Die Berlinerin war eigentlich wegen eines Tauchwettbewerbs auf die Insel gekommen. Die 47-Jährige ist eine der besten Apnoetaucherinnen der Welt; sie kann mit nur einem Atemzug minutenlang in die Tiefe tauchen. Dass ihre Überlebensstrategien auf Dominica letztendlich auf ganz andere Art gefordert werden würden, ahnte sie bei ihrer Ankunft noch nicht. Eine angespannte Stimmung sei jedoch spürbar gewesen, so Anna von Boetticher. „Irgendwann gegen acht Uhr abends wurde der Sturm so stark, dass man einen wahnsinnigen Druck auf den Ohren hatte“, erzählt die Berlinerin. Als der Wirbelsturm richtig losging, verbarrikadierte sie sich allein bei Kerzenlicht im kleinen Badezimmer ihres Ferienhäuschens – der vermeintlich sicherste Ort, und der einzige Raum ohne Fenster. Maria fegte die ganze Nacht mit bis zu 280 Stundenkilometern über die Insel. „Ich hatte das Gefühl, das ganze Haus vibriert. Und ich hab die ganze Zeit gedacht: Gleich fliegen mir alle Türen und die Fensterscheiben raus.“ Doch Anna von Boetticher behielt die Nerven und ließ sich von der Angst vor der Naturgewalt nicht übermannen. Ihrer Erfahrung sei Dank: „Wenn ich beim Apnoetauchen in der Tiefe bin und es geht etwas schief, kann ich es mir auch nicht erlauben, Panik zu bekommen. Ich muss mich darauf konzentrieren, was die Lösung ist. Die Angst muss man sich für später aufsparen. Und das hat mich in dieser Situation auch stark gemacht – weil ich die Ruhe bewahren kann und mir immer den nächsten Schritt überlege.“

FS Hurrikan Maria auf Dominica

Ohne Sauerstoff bis auf 55 Meter

Anna von Boetticher widmet sich seit zehn Jahren professionell dem Apnoetauchen, also tiefes Tauchen ohne Flossen und ohne Sauerstoff. Darin erzielte sie bisher 31 deutsche Rekorde, einige hält sie bis heute. Unter anderem beherrscht sie es, mehr als sechs Minuten die Luft anzuhalten. Ihr eigener Rekord liegt bei 81 Metern Tiefe. Für die menschliche Lunge ist eine derartige Belastung im wahrsten Sinne eine Zerreißprobe. Anna von Boetticher sagt, sie fasziniere daran vor allem „diese wahnsinnig intensive Erfahrung, mich als Mensch in dieser Umgebung aufzuhalten, von der ich eigentlich kein Teil bin. Dazu gehören Tauchgänge an Steilwänden, wo es 900 Meter unter mir runter geht und ich nach unten in diese irrsinnige Tiefe schaue.“

Apnoetauchen ist ein körperlicher Kraftakt, den Anna von Boetticher seit einiger Zeit mit Soldaten der Marine trainieren soll. Die Minentaucher, eine der härtesten Bundeswehr-Einheiten, sind der Kampfmittelräumdienst der Marine unter Wasser und in allen Meeren der Welt unterwegs. Die Berlinerin trainiert auch die Kampfschwimmer und betreut Übungen, bei denen die Soldaten den Ausstieg aus einem U-Boot in der Tiefe trainieren. Allerdings überstehen nur wenige diese harte Ausbildung. Viele scheitern vor allem an der schwierigen Apnoetaucherei ohne Sauerstoffgerät. „Man muss unter Wasser Stress aushalten können. Wenn ich mit meinem Minentauchgerät in 50 Metern Tiefe bin, habe ich keine Möglichkeit, aufzutauchen. Ich muss dann klarkommen“, so die 47-Jährige.

Gespenstische Stimmung nach überstandener Nacht

Anna von Boetticher kann Körper und Geist perfekt kontrollieren. Das half ihr auch bei ihrer Grenzerfahrung mit Hurrikan Maria. Nach dem Sturm bot sich ihr und den Bewohnern des am südöstlichen Zipfel gelegenen Ortes Scotts Head ein Bild der Verwüstung. Es sei eine unglaublich gespenstische Stimmung gewesen, als „da so im Morgengrauen alle Menschen aus den Häusern kamen, die die Nacht überstanden hatten – und sich alle fragten ‚Oh mein Gott, wie sieht es hier aus!‘.“

Statt mit Training und Tauchwettbewerb beschäftigte sich Anna von Boetticher gemeinsam mit einem Tauchkollegen in den kommenden Tagen erst einmal mit der Nahrungsbeschaffung für die älteren Einheimischen. Sie sammelten Kokosnüsse, Früchte – was immer der Sturm irgendwie übrig gelassen hatte. Nach vier Tagen schaffte es die Berlinerin schließlich von der Hauptstadt aus auf die Nachbarinsel St. Lucia zu gelangen und von dort zurück nach Europa zu fliegen. „Man ist sehr dankbar und gleichzeitig hat man dieses Gefühl, dass man die anderen zurückgelassen hat. Ich hab’s leicht, ich kann raus. Die Menschen da nicht.“

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