Bergsteigen unter Extrem-Bedingungen: Wie Andy Holzer als erster Blinder den Mount Everest über die Nordroute bestieg

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Der blinde Extrembergsteiger Andy Holzer wollte das schier Unmögliche schaffen: Er wollte unbedingt den höchsten Berg der Welt besteigen, den Mount Everest. Dabei gelten für diesen Extrem-bergsteiger ganz eigene Bedingungen. Er kann den Fels nur fühlen. Selbst ein Wanderweg auf einen Berg, der für Sehende ein Spaziergang ist, fordert von einem Blinden höchste Konzentration, erklärt Andy Holzer. „Beim Gehen orientiere ich mich hauptsächlich nach den Geräuschen meines Vordermannes. Ich muss analysieren, ob er auf einen Stein steigt oder auf ein Moospolster oder eine glitschige Stelle.“ An der Felswand fahre er „wie eine Reinigungskraft“ mit der Hand herum, um zuvor befestigte Haken zu finden. Und wenn es steil bergauf geht, setzt er die Füße direkt dorthin, wo vorher seine Hände hingegriffen haben. In flachen Bereichen muss Holzer auf allen Vieren kriechen.

Aber kann auf diese Weise eine Besteigung eines Achttausenders gelingen? Es kann. Andy Holzer hat schon immer seine Träume gelebt und über die Jahre die höchsten Berge aller Kontinente bestiegen: Den Kilimandscharo in Afrika, den Elbrus im russischen Kaukasus und den Aconcagua in Südamerika. Holzer bezwang auch den Mount McKinley in Alaska, mit seinen extremen Temperaturbedingungen. Er kletterte mit einem Freund aus der Heimat auf die Carstensz-Pyramide in Papua-Neuguinea. Und im vergangenen Jahr erreichte Andreas Holzer den Gipfel des Mount Vinson in der Antarktis. Das Gipfelpanorama hat er auf keinem einzigen dieser Berge gesehen. Doch auch er habe einen jeweils ganz eigenen Eindruck bekommen, der ihm den optischen ersetze, sagt der 50-Jährige. „Jeder für sich war der Wahnsinn, jeder hat anders gerochen, eine andere Ausstrahlung gehabt, ein anderes Wesen.“

Seit der Kindheit nicht aufzuhalten

Andreas Holzer ist von Geburt an blind, er leidet an Retinitis Pigmentosa. Doch seine Eltern ließen ihren Jungen wie alle anderen Kinder im Dorf aufwachsen. Er lernte Schlittschuhlaufen, Skifahren und sogar Radfahren. Immer orientierte er sich an Geräuschen. Mit seiner Familie wanderte er regelmäßig, als 23-Jähriger wagte er die erste Klettertour mit einem Freund. „Das ist nicht so einfach mit einem Blinden und alle haben gesagt, das ist verrückt, wenn da etwas passiert, der weiß ja nicht einmal, wo er ist“, sagt Andy Holzer selbst. „Aber ich wusste damals, das ist der Start meiner alpinen Laufbahn.“

„Andy, jetzt bist du mitten in der Alpin-Historie unterwegs!“

Der Mount Everest war der letzte Berg der „Seven Summits“, der sieben höchsten Berge der Welt, den er noch nicht bezwungen hatte. Zwei Mal war das Projekt umständehalber bereits gescheitert. Im April 2017 wagten Andy Holzer und zwei Bergsteiger-Freunde einen dritten Anlauf. Holzer wäre der erste blinde Bergsteiger, der den technisch anspruchsvolleren Nordhang hoch zum Mount Everest beging. Vom Basiscamp auf 6.400 Metern Höhe sollte es über drei Camps auf den Gipfel des höchsten Berges der Welt gehen.
Jeder einzelne Schritt musste vorher besprochen werden. Als akustische Hilfe klopften seine Begleiter zusätzlich gegen Felswände, die er passieren musste. Die Wetterbedingungen und die Sauerstoffgeräte gegen die dünner werdende Luft machten das Unterfangen nicht einfacher. Nach mühevollen Stunden erreichten sie das zweite Camp. „Da war in der Nach ein Sturm par excellence“, berichtet Andy Holzer. „Wir haben 12 Stunden in dem Zelt gelegen und uns nicht unterhalten können, obwohl wir auf wenigen Zentimetern eng zusammenlagen. Das war ganz, ganz grausig. Du weißt dann, dass Schlafen nicht möglich ist, und denkst: die Gliedmaßen einfach ruhig liegen lassen, muss schon was bringen.“

Am nächsten Morgen begann in 8.000 Metern Höhe eine pfeilgerade, steile Firnflanke: die letzten 300 Höhenmeter bis zum Lager Drei. Dort stellte sich ein weiteres Problem: Andy Holzer hatte kein Wasser mehr. Und um auf 8.300 Metern einen Liter Schnee zu schmelzen, braucht es etwa zwei Stunden. Und dennoch.

„Leute, steht auf, es ist fast alles möglich“

Am 20. Mai um 23 Uhr in der Nacht brachen Andy Holzer und seine Begleiter mit einem dreiviertel Liter Wasser im Gepäck zum Gipfel auf. mehrere Stunden Aufstieg lagen noch vor ihnen. Sein Freund Klemens dirigierte den blinden Andy Holzer per Zuruf vorbei an Fix-Seilen, die ihn hätten stolpern lassen können. Jede Kleinigkeit konnte zur Gefahr werden. Die Leiter in 8.610 Metern Höhe stammt noch von der Erstbesteigung der Nordroute 1975. Andreas Holzer war davon elektrisiert: „Wenn du da wirklich mit deinen Händen diese historische Leiter anfassen kannst und da diese 25 Meter hochsteigst – das war für mich so: Andy, jetzt bist du mitten in der Alpin-Historie unterwegs, wo so viele Geschichten geschrieben worden sind! Das war wirklich noch mal ein Push.“ In dem Augenblick habe für ihn festgestanden: Er würde es schaffen. Von dem irrsinnigen Panorama der Himalaya-Gipfel konnte er zwar nichts sehen. Aber er erlebte den Berg auf seine eigene, blinde und ganz besondere Art, erzählt Andy Holzer: „Dieser Sonnenaufgang war für mich umhauend. Als blinder Mensch spüre ich an der linken Hälfte die frische Morgensonne, das hat so gebrizzelt, und an der rechten Körperhälfte, im Westen, spüre ich die Nacht eiskalt – das war so unglaublich. Mir sind die Tränen gekommen. Fundamentale Natur!“

Am 21. Mai um 7:10 Uhr erreichte Andy Holzer auf 8.848 Metern den Gipfel des Mount Everest. Den höchsten Punkt der Erde. Als erster blinder Bergsteiger über die anspruchsvolle Nordroute.

Für diesen Erfolg fand Andreas Holzer anschließend bewegende Worte: „Wir haben ein Symbol gesetzt, dass man mit Muskelkraft und intellektueller Kommunikation wahnsinnig viel erreichen kann. Und liebe Leute, steht auf, verfolgt eure Träume, hört nicht was die anderen sagen [..] Es ist wirklich fast alles möglich. Der Everest und wir drei, haben es glaub ich bewiesen.“

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