Frühe Fehlgeburten: Von der Schwierigkeit loszulassen, bevor das Leben begonnen hat

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Es war ein Wunschkind, auf das sich Jasmin Nosber und ihr Mann Niklas freuten. Ihr kleiner Sohn Samuel sollte noch ein Geschwisterchen bekommen. Und als die 27-Jährige nur wenige Monate nach ihrem ersten Sohn wieder schwanger wurde, schien alles perfekt. Doch in der siebten Schwangerschaftswoche hatte Jasmin Nosber plötzlich Blutungen. Ihre  Frauenärzten stellte fest: Sie hatte eine Fehlgeburt erlitten. „Ich habe immer gedacht, das passiert zwar in jeder dritten Schwangerschaft, aber ich bin niemals davon ausgegangen, dass es mich betreffen würde“, erzählt Jasmin Nosber. „Deswegen hat mich das glaube ich umso mehr getroffen.“

Für die junge Frau brach eine Welt zusammen, in ihrem Blog versuchte sie ihre Gefühle in Worte zu fassen: Erst fühlte ich mich leer. Leer wie eine Hülle, die nur noch aus sich selbst besteht. Ich starrte vor mich hin und hörte nur die Wanduhr in ihrem ewig stetigen Rythmus ticken. Tick tack. Tick tack. 

Info AbortJasmin Nosber kämpfte mit ihrem Kummer, mit Schuldgefühlen und einer drohenden Familienkrise. „Ich war auf alles wütend. Ich war auf alle Frauen wütend, die schwanger waren. Ich war ein Stück weit auf mich selber wütend. Ich habe mich immer wieder gefragt, ob es an mir lag.“

„Egal in welcher Woche: Es ist ein schmerzlicher Verlust“

Unzählige Frauen in Deutschland können diese Empfindungen nachvollziehen, denn sie teilen dieses Schicksal. Jede dritte bis fünfte Schwangerschaft, so Expertenschätzungen, endet innerhalb der ersten 12 Wochen mit einer Fehlgeburt. Die ersten drei Monate einer Schwangerschaft sind besonders anfällig für Störungen. Während die Frauen früher oft nicht einmal ahnten, dass sie schwanger sind, wird die Empfängnis heutzutage schon nach kurzer Zeit festgestellt – und auch eine Fehlgeburt. „Es ist von Anfang an eine Emotion dabei, sobald man weiß, dass man schwanger ist – dieses Gefühl ‚Das ist mein Kind‘. Und egal in welcher Woche: Es ist ein schmerzlicher Verlust“, weiß die Frauenärztin Andrea Hoppe von der Universitätsfrauenklinik Bonn.

Viele werdende Mütter und Väter erleben das als großen Verlust und suchen die Ursache bei sich selbst. Dass ein Embryo innerhalb der ersten Schwangerschaftswochen stirbt, habe jedoch meist ganz natürliche Gründe, erklärt Andrea Hocke: „Es ist eben meist nicht ein Fehler von Mann oder Frau, sondern einfach das Erbgut, das sich nicht perfekt zusammengefügt hat. Dadurch entstehen Embryonen, die nicht lebensfähig wären und bei denen die Natur schon in frühen Wochen sagt: Das hat keinen Sinn, dass die Schwangerschaft weitergeht.“

Jasmin Nosbers Mann Niklas erlebte aus nächster Nähe mit, wie stark die Schuldgefühle seiner Frau nach der Fehlgeburt waren. Auch er trauerte und fühlte sich hilflos. „Ich wollte ihr einfach zeigen: Du bist kein schlechterer Mensch, nur weil du ein Kind verloren hast; das hat nichts mit dir zu tun.“

Schuldgefühle sind unberechtigt, aber verständlich

Connie und Matthias Warnick aus Michendorf verloren ihr Baby ebenfalls in der achten Schwangerschaftswoche. Die Frauenärztin stellte bei einer Untersuchung fest, dass das Herz des ungeborenen Kindes nicht mehr schlug. „Da bin ich völlig aus der Bahn geglitten. Ich habe das überhaupt nicht verstanden“, sagt Connie Warnick. „Man wollte irgendjemandem die Schuld geben. Aber man wusste, dass das nicht geht – weil niemand etwas dafür kann.“
Doch auch die 27-Jährige plagten Schuldgefühle und Selbstzweifel. Am meisten störte sie, dass ihr oft Unverständnis entgegengebracht wurde, wenn sie im Bekannten- oder Freundeskreis darüber sprechen wollte: „Man hat sich total alleine gefühlt. Es wurde dann immer gesagt: ‚Das ist doch nur ein Zellhaufen gewesen.‘ Oder: ‚Ihr seid noch so jung, ihr habt noch so viel Zeit‘.“
Andrea Hoppe weiß es besser, sie sagt: „Wenn man weiß, man ist schwanger, dann geht man auch sofort davon aus, dass es ein gesundes Kind wird. Und wenn man dieses Kind in einer frühen Woche verliert, kann das für Frauen genauso schmerzlich sein, wie ein Verlust zu einem späteren Zeitpunkt.“

Einen persönlichen Weg des Abschiednehmens finden

Connie Warnick schaffte es nicht, ihren Kummer mit ihrem Mann zu teilen, sie zog sich immer mehr von ihm zurück. „Ich habe mich nicht mehr wirklich wertvoll gefühlt. Ich wollte mit ihm keine Zärtlichkeiten mehr austauschen, weil ich dachte, mit mir stimmt irgendwas nicht.“ Eine harte Bewährungsprobe für die Ehe der beiden, denn auch Matthias Warnick konnte über seine Gefühle nicht sprechen – obwohl ihn der Verlust des Kindes genauso schmerzte. „Man will ja der Starke in der Beziehung sein. Als Mann trauert man wahrscheinlich eher innerlich, aber emotional ist da dieselbe Trauer.“

Wenn Babys im Mutterleib sterb… stern TV über Sternenki… (2199931)Connie und Matthias Warnick entschlossen sich zu einer Therapie, um ihre Ehe zu retten und wieder zueinander zu finden. Und sie fanden einen besonderen Weg: Auf dem Friedhof haben sie ein symbolisches Grab für ihr ungeborenes Kind einrichten lassen. An solchen Ruhestätten können auch Eltern von frühen Fehlgeburten Abschied nehmen und trauern.

Jasmin Nosbers persönlicher Weg ist ein Abschiedsbrief, den sie an ihr ungeborenes Kind geschrieben hat: Eigentlich solltest du jetzt hier bei uns sein. Aber du bist es nicht. (…) Ich frage mich: Warum? Hätte ich mich mehr schonen müssen? Warst du krank? Es tut so weh. Du bist doch mein Kind. Aber alles, was mir bleibt, ist ein Teststreifen und die Erinnerung. Und diese Erinnerung wolle sie auch nicht aufgeben. Inzwischen erwartet die Familie Zuwachs: Jasmin Nosber ist in der 26. Woche schwanger. Doch ihr verlorenes Kind möchte sie damit nicht ersetzen: „Es bleibt für mich mein zweites Kind“, sagt die werdende Mutter über ihre frühere Fehlgeburt. „Diese Lücke wird wohl nie irgendjemand füllen. Auch nicht das Baby, das ich jetzt im Bauch trage. Es wird immer einen Platz haben und eine Lücke hinterlassen in meinem Leben.“

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